Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
Großschleck. Der Berg bestand hier aus einer Reihe von Felsplateaus und Überhängen, von denen einige sehr tief waren. Jandra folgte dem schmalen Pfad, der zwischen den Felsenplatten hindurchführte, mit der Sicherheit einer Bergziege. Bitterholz spürte, dass die Veränderung, die sie seit ihrem letzten Treffen durchgemacht hatte, mehr betraf als nur ihre Garderobe. Er bemühte sich, mit ihr Schritt zu halten. Sie war eindeutig nicht so kräftig gewesen, als sie sich das letzte Mal getroffen hatten. Damals war sie kaum mehr als ein kleines Kind im Körper einer jungen Frau gewesen. Sie war mutig gewesen, ja, aber auch irrational und zu emotional. Jetzt schien sie sich mehr im Griff zu haben. Als sie ihm gesagt hatte, dass er Hex nicht töten sollte, hatte sie weder gebeten noch gehandelt. Sie hatte ihm einfach nur die Regeln erklärt, nach denen er in ihrer Anwesenheit würde leben müssen.
Er fragte sich, ob sie die gleiche Art von Regeln auch Hex auferlegt hatte.
Sie gingen eine Holzrampe hoch auf den gähnenden Eingang des Berges zu. Den überall herumliegenden Hacken und Schaufeln nach zu urteilen war dies der Eingang zu einer Mine. Im Schutz des Mineninnern brannte ein Feuer, und neben dem Feuer saßen Mörder und der Junge. Mörder wirkte gesünder, auch wenn das Fell des Ochsenhundes jetzt so versengt war wie sein eigenes.
»Hast du den Hund geheilt, bevor du mich geheilt hast?«, fragte er.
»Seine Wunden waren fast alle oberflächlich«, sagte Jandra.
»Nachdem es ihm besser ging, habe ich Hex gebeten, ihn und den Jungen hierher zu bringen. Die erste Höhle war zu klein für Hex, und ich wollte, dass wir in Ruhe miteinander sprechen können, wenn du aufwachst.«
Es wurde dunkel draußen, und die Decke der Höhle war vom jahrhundertealten Ruß so geschwärzt, dass sie wie eine formlose Leere wirkte.
»Wo ist Hex?«, fragte Jandra.
»Ich weiß es nicht«, sagte der Junge. »Er hat etwas Eigenartiges gerochen. Er meinte, dass er gleich zurück wäre. Er ist erst vor ein paar Augenblicken weggegangen.«
»Wo ist Zeeky?«, fragte Bitterholz.
»Wir haben ihre Fußspuren gefunden«, sagte der Junge und deutete ein Stück weiter nach hinten den Schacht entlang. »Sie sucht nach unserer Familie.«
»Du bist mit ihr verwandt?« Noch während Bitterholz die Frage stellte, sah er, dass die Ähnlichkeit nicht zu leugnen war. Die beiden Kinder hatten die gleichen maisfarbenen, seidenen Haare und die gleichen hellblauen Augen. Das Gesicht des Jungen war etwas kantiger, die Nase schärfer, und das Kinn stand mehr hervor. Bitterholz schätzte den Jungen auf etwa zwölf Jahre. Er hatte die gleichen drahtigen Gliedmaßen wie Zeeky – einen Körper, der durch Armut und die Notwendigkeit geprägt war, in dieser schroffen Gegend herumklettern zu müssen.
»Ezekia ist meine Schwester«, sagte er. »Ich bin Jeremiah.«
»Du bist älter als deine Schwester«, sagte Bitterholz. »Wieso hast du sie gehen lassen?«
»Niemand kann Zeeky aufhalten, wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat.«
Bitterholz nickte. Das wusste er aus Erfahrung. »Jeremiah und Ezekia … das sind Namen aus der Bibel.«
»Ja«, sagte der Junge. »Mein Urgroßvater ist von einem Propheten namens Hezekiah zum anderen Glauben geführt worden. Er ist als Missionar in dieses Gebirge gekommen.«
»Ich verstehe«, sagte Bitterholz. »Die Leute in dieser Gegend huldigen gewöhnlich der Göttin Ashera. Ich habe ihren Tempel in Wickelstein gesehen.«
»Wenn Ihr die Bibel gut genug kennt, dass Ihr unsere Namen erkennt, seid Ihr dann ein Anhänger des Herrn?«
Bitterholz spürte Ärger in sich aufsteigen, als er die Frage hörte. Er wusste, dass der Junge es nicht böse meinte; zweifellos suchte er nach einer Verbindung mit dem Fremden. Der Junge konnte nicht wissen, dass das Einzige, das Bitterholz mehr hasste als Drachen, die Worte des sogenannten Propheten Hezekiah waren.
Offensichtlich spürte der Junge die Verärgerung von Bitterholz, denn er blickte zu Boden und schwieg, als hätte er Angst.
»Ich wusste nicht, dass du so ein Experte in Glaubensfragen bist«, sagte Jandra zu Bitterholz. »Aber natürlich wird jeder mehr wissen als ich. Vendevorex hat mir gar nichts über Spiritualität beigebracht.«
»Wenn man lange in diesen Bergen lebt«, sagte der Junge, »lernt man mehr über Geister, als man wissen will. Diese Berge sind voller Teufel.«
»Einige Leute denken, dass die Göttin in diesem Gebirge zu Hause ist«, sagte Bitterholz,
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