Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
war noch bei ihr. Sie griff nach dem Visier und setzte sich in der absoluten Schwärze aufrecht hin. Sie war zu müde gewesen, um die Augen offen zu halten, als Adam sie in sein Lager zurückgebracht hatte. Wie lange hatte sie geschlafen?
Sie erstarrte, als sie das Visier aufsetzte und die Dunkelheit sich etwas lichtete. Sie war gar nicht allein! Eine große, breitschultrige Frau in einem langen, schwarzen Mantel lehnte an der Wand gegenüber von ihr. Nein, es war keine Frau – es war ein Mann mit langen weißen Haaren und einem hübschen, weiblichen Gesicht. Er beobachtete Zeeky mit einem
ungerührten Blick und lächelte, als er bemerkte, dass sie ihn ansah.
»Gut geschlafen?«, fragte er mit sanfter Stimme.
»Wer bist du?«, fragte sie. »Wo ist Adam?« Beim Klang ihrer Stimme rührte Ferkelchen sich.
»Adam wurde weggerufen. Es gab ein bisschen Ärger mit anderen von seiner Einheit. Er hat mich gerufen, damit ich dich mitnehme. Ich wollte dich ausschlafen lassen. Du hast eine anstrengende Reise hinter dir.«
»Bist du Gabriel?«, fragte Zeeky. »Adam hat gesagt, er würde mich zu jemandem bringen, der Gabriel heißt.«
»Eine hervorragende Schlussfolgerung«, sagte Gabriel.
»Du siehst aus wie der Engel in der Bibel in der Kirche. Oder zumindest wie in der Bibel, die immer da war. Ich schätze, sie ist jetzt verbrannt worden.«
»Glaubst du an Engel?«, fragte Gabriel.
»Sicher«, sagte Zeeky. »Bist du einer? Atmest du deshalb nicht?«
Gabriel zog eine Braue in die Höhe. »Adam hat mir gesagt, dass du eine hohe Wahrnehmungsfähigkeit hast. Ich habe dich nicht täuschen können, was?«
»Wenn du ein Engel bist, wieso hast du dann keine Flügel?«
»Wer sagt, dass ich keine habe?«, fragte Gabriel. Er nahm den Umhang ab und enthüllte seine nackte Brust. Er war ziemlich muskulös, aber dennoch schlank und wirkte mehr wie eine belebte Statue als ein lebendes Wesen. Er zuckte mit den Schultern, und zwei goldene Flügel kamen daraufhin zum Vorschein. Die Schwingen entfalteten sich in einem ausgeklügelten Tanz und waren schon bald mehrere Schritt lang. Er schüttelte die offenen Flügel, und die metallischen Federn klangen mit dem zarten Bimmeln von tausend winzigen Glocken.
Ferkelchen setzte sich auf. Er schob sich selbst das Visier
über die Augen und setzte sich neben Zeeky, von wo aus er den geflügelten Mann anstarrte. Ferkelchen grunzte.
»Ich weiß«, sagte Zeeky. »Aber vielleicht müssen Engel so riechen. Es ist wie Sommerregen.«
»Du bist ein neugieriges, furchtloses kleines Mädchen, Zeeky«, sagte Gabriel und kniete sich vor sie. »Adam hat gesagt, dass du keine Angst vor Trisky hattest. Und auch nicht vor der Dunkelheit. Ganz offenbar hast du auch keine Angst vor mir.«
»Ich fürchte mich manchmal«, sagte sie. »Ich habe mich in der Freien Stadt gefürchtet, als die Drachen angefangen haben, alle umzubringen. Ich habe mich gefürchtet, als ich gesehen habe, dass Großschleck ganz abgebrannt ist. Weißt du, warum es verbrannt wurde? Weißt du, was mit meinen Eltern passiert ist?«
»Ja«, sagte Gabriel. »Die Göttin war der Meinung, dass nur wenige Menschen in diesem bestimmten Augenblick ihr Verschwinden bemerken würden. Die anderen Dörfer, mit denen sie Handel getrieben haben, mussten annehmen, dass sie von Albekizans Soldaten im Verlauf seiner Säuberungsaktionen getötet worden sind. Sie brauchte Menschen, um bestimmte Dinge zu lernen. Die Leute aus deinem Dorf sind dazu ausersehen worden, ihr beim Lernen zu helfen.«
»Was will sie lernen?«
»Oh«, sagte Gabriel mit einem Lächeln. »Das ist eine schwierige Frage, die ich so nicht beantworten kann. Die Göttin weiß beinahe alles. Die wenigen Dinge, die sie nicht versteht, lassen sich Sterblichen nicht leicht erklären, auch einem so klugen Mädchen wie dir nicht.«
»Adam hat gesagt, dass die Göttin mich im Bauch meiner Mutter berührt und verändert hat. Hat sie das getan, um etwas zu lernen?«
»Natürlich«, sagte Gabriel. »Alles, was die Göttin tut, tut sie
im Namen des Wissens. Die Veränderungen deines Geistes helfen ihr, die Wahrnehmungslücke zwischen den Menschen und den Tieren zu überbrücken. Du siehst die Welt mit der gleichen Sinnesoffenheit wie ein Tier, aber du besitzt die verstandesmäßigen Fähigkeiten eines Menschen. Du bist ein Omen für das, was die Göttin für die gesamte Menschheit plant.«
»Was ist ein Omen?«
»Ein Vorzeichen«, sagte Gabriel. »Du bist die Erste deiner Art. Aber da du so
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