Die Herrschaft der Drachen 03 - Blasphet
verändern. Sie hat seinen Altruismus an der Grenze zu seiner unmittelbaren Umwelt angehalten und damit beschränkt. Die Menschen, die nach Atlantis gezogen sind, sind tatsächlich unsterblich. Aber alles andere, der Rest der Welt, wird von der Stadt ignoriert. Jazz hat die Menschheit seither in einen verwilderten Zustand zurückgeführt. Sie hält dies für den klügsten Weg, die Welt auf lange Sicht gesund zu erhalten.«
Shay nickte. Auch, wenn er es nicht verstand, versuchte er jetzt immerhin, sie in Ruhe zu lassen. »Du sprichst immer noch in der Gegenwartsform von Jazz.«
Jandra senkte den Kopf, als sie begriff, dass er Recht hatte.
»Was ist, wenn ich das tue, weil sie noch lebt?«, flüsterte sie. »Ich muss wieder einen Flaschengeist finden, um mein Gehirn in Ordnung zu bringen. Ich glaube … ich glaube, sie verdrängt mich mehr und mehr aus meinen Erinnerungen.« Trotz ihrer Bemühungen, ihre Tränen zurückzuhalten, strömten sie ihr über die Wangen.
Shay rückte näher zu ihr heran. Er legte seine Finger sanft auf ihre Hand. Echs’ kleine Krallen ließen sich gleich daneben auf ihrer Haut nieder. Sie zitterte.
»Wann immer … ich … schlafe«, sagte sie zwischen Schluchzern, »habe ich Angst, dass ich … wenn ich aufwache … nicht mehr ich bin.«
Shay rutschte noch ein Stück näher. Er legte ihr einen Arm um die Schultern. »Schschsch«, tröstete er sie. »Das sind nur ein paar Alpträume, die dir Angst machen.«
»Nein!«, widersprach sie. »Du verstehst nicht. Nichts erschreckt mich mehr als der Gedanke, ich könnte meine Identität verlieren. Ich bin von einem Drachen großgezogen worden. Da war immer so viel Unklarheit darüber, wer ich bin.«
Echs sah sie mit besorgtem Blick an. Shay drückte ihre Hand fester.
Sie wischte sich über die Wangen. »Ich bin mir immer … verkrüppelt vorgekommen, weil ich keine Flügel habe, und keinen Schwanz. Ich fühle mich hässlich, wenn ich in einen Spiegel blicke und statt Schuppen nur Haut sehe.«
Shay strich ihr die Haare aus dem Gesicht und sagte leise: »Du bist nicht hässlich, Jandra. Du bist die hübscheste Frau, der ich jemals begegnet bin.«
Jandra verdrehte die Augen. »Im Innern bin ich zerbrochen und voller Narben. Ich bin eine Missgeburt, aufgewachsen bei der falschen Rasse. Jetzt ist mein Hirn von einer tausend Jahre alten Egomanin neu verdrahtet worden. Ich muss die verdrehteste Person sein, die jemals gelebt hat.«
»Wenn du verdreht bist«, sagte Shay, »dann braucht die Welt noch mehr verdrehte Leute. Du bist unglaublich mutig, Jandra. Mein Geist war vor Furcht vollkommen leer, als Vulpinus uns angegriffen hat, aber du bist bei Verstand geblieben. Ich war kurz davor, mir in die Hose zu machen, während du in aller Ruhe dein Gewehr neu geladen hast. Du bist erstaunlich. Du kommandierst Bitterholz herum. Du hast einem Erddrachen seine Axt weggenommen und ihn damit getötet. Könnte eine hirngeschädigte Missgeburt so etwas zustande bringen?«
»Wieso nicht?« Sie versuchte zu grinsen, aber es gelang ihr nicht ganz. »Kein Wunder, dass ich schreiend aufwache. Ich bin eine hirngeschädigte Missgeburt mit einem Hang zur Gewalt. «
»Du hast auch einen Hang zur Barmherzigkeit. Du hast dich in Lebensgefahr gebracht, um Echs zu retten. Du bist gütig und fürsorglich. Trotz all der schrecklichen Dinge, die Drachen dir angetan haben, lässt du dich nicht von Verbitterung und Hass auffressen. Du versuchst mehr als jeder andere Mensch,
dem ich begegnet bin, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Echs hat Recht … du bist ein guter Häuptling.«
»Guter Häuptling«, wiederholte Echs. »Guter, guter Häuptling. « Er starrte sie an, als sie sich die Tränen von den Wangen wischte. Der kleine Drache wandte seinen Blick zu ihrem Rucksack. »Jetzt essen?«
Jandra lachte, dann bekam sie einen Schluckauf. »Schmeichler«, sagte sie. » Ja, wir essen.«
Shay ließ ihre Hand los. »Wenn du später mehr darüber reden willst, werde ich dir zuhören. Du musst nicht das Gefühl haben, als würde das ganze Gewicht der Welt allein auf deinen Schultern lasten.«
Sie sah Shay an, dessen Gesicht nur ein paar Zoll von dem ihren entfernt war. Von den drei Menschen, die mit ihr von Drachenschmiede weggeritten waren, war er der Letzte, den sie bei der vermutlich gefährlichsten Aufgabe ihres Lebens an ihrer Seite gesehen hatte. Es kam ihr beinahe so vor, als müsste er verrückt sein, dass er all das auf sich nahm, nur um ein paar Bücher in
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