Die Herrschaft der Drachen 03 - Blasphet
der sowohl auf ihren Händen lag als auch auf ihrem Mund. Er erinnerte sie an den schwarzen Sand eines ölverschmierten Strandes – eine von Jazz’ Erinnerungen.
»Kannst du dich an deinen Traum erinnern?«, fragte Shay. »Wer ist Cassie?«
»Meine Schwester.« Jandra erschauderte. »Ich meine, Jazz’ Schwester. Ich erinnere mich nicht mehr genau an den Traum. Ich habe das Gefühl, als würde mein Hirn all diese zusätzlichen Erinnerungen zu ordnen versuchen. Jazz’ Lebensgeschichte fängt endlich an, etwas Sinn zu ergeben. All die zufälligen Erinnerungen werden zu einer zusammenhängenden Sequenz von Ereignissen.«
»Viele Sklaven haben der Göttin gehuldigt, aber ich habe nicht zu den Gläubigen gehört«, sagte Shay. »Die Vorstellung, dass sie echt gewesen sein soll, ist schwer zu verdauen.«
Echs riss den Kopf nach oben, als er das Wort »verdauen« hörte. Das Vokabular des kleinen Drachen war begrenzt, aber er kannte alle Worte, die mit Essen verbunden waren.
»Echt ist ein relativer Begriff. Jasmine Robertson war keine Göttin. Sie war ein Mensch, der vor tausend Jahren geboren wurde.«
»Ich habe über diese Zeit gelesen«, sagte Shay. »Über das Zeitalter der Menschen. Es muss wie im Paradies gewesen sein.«
»Nicht ganz«, sagte Jandra. »Die menschliche Zivilisation hat der Erde einen hohen Preis abverlangt. Es hat riesige Gebiete gegeben, in denen die ursprünglichen Völker unterjocht worden sind. Es gab eine Agrarkultur mit nur wenigen auserwählten Pflanzen, Mais zum Beispiel. Die Erde wurde ständig mit auf Petroleum basierenden Chemikalien beackert. Gifte, die die Pest bekämpfen sollten, drangen ins Grundwasser. Wasser wurde von Abflüssen vergiftet, die von Grabungen in den Böden auf der Suche nach verschiedenen Mineralien stammten. Um Kohle zu bekommen, rissen die Menschen ganze Bergketten auseinander. Sie verbrannten die Kohle unablässig zwei Jahrhunderte hindurch und veränderten die Atmosphäre dadurch unumkehrbar.«
»War dann damals der Himmel auf der ganzen Welt so wie jetzt der über Drachenschmiede?«
»Nicht ganz. Sie haben ständig die Technologien verfeinert, um es sauberer zu machen. Das ist einer der Gründe, weshalb Jazz’ Erinnerungen mich verwirren. Sie hätte so viel tun können, um die Welt mit ihren Fähigkeiten zu verbessern. Aber stattdessen hat sie sich entschieden, sie in Stücke zu reißen.«
»War sie geistig krank?«
»Nein. Sie war ein Genie und ein bisschen ein Außenseiter, aber nicht geistig krank. Ihre Schwester Cassie war blind geboren
worden, als Nebenwirkung einer Droge, die ihre Mutter genommen hatte, als sie schwanger war. Cassie gehörte zu den Ersten, die eine künstliche Netzhaut bekamen. Jazz war fasziniert von jeder Technologie, und auch von Biologie; na ja, eigentlich von allem. Sie war nicht geistig krank, sie war … allzu zuversichtlich. Sie dachte, sie hätte die Probleme der Welt verstanden und könnte sie lösen. Die Welt in Ordnung zu bringen bedeutete aber unglücklicherweise, die Bevölkerung der Welt von acht Billionen auf achtzig Millionen herunterzuschrauben.«
»Ich kann mir nicht einmal acht Billionen Leute vorstellen«, sagte Shay. »Wo haben die alle gestanden?«
»Die Welt ist größer, als du dir vorstellen kannst«, sagte Jandra. »Ich glaube nicht, dass ich ihre Größe richtig erfasst habe, bevor Jazz mich zum Mond mitgenommen hat.«
»Zum … Mond? Du meinst, du warst … auf dem Mond?«
Jandra nickte.
»Aber wie ist das möglich? Ich meine, nicht einmal Drachen fliegen so hoch, oder?«
»Jazz kannte eine Abkürzung. Es gibt offenbar eine andere Art von Raum, der unterhalb unserer Realität existiert. Jazz hat ihn Unterraum genannt. Sie hat die Technologie für diese Art zu reisen aus Atlantis gestohlen.«
Shay kratzte sich am Kopf. Sie spürte, dass sie mit ihren Erklärungen alles nur noch schlimmer machte. »Atlantis ist ein künstliches Gebilde, das zu einem Zeitpunkt auftauchte, als die Umweltkatastrophe in eine entscheidende Phase gekommen war. Es war eine Maschinenintelligenz, die auf beinahe vollkommenen Altruismus programmiert war – eine lebende Stadt, die erschaffen worden war, um den Bedürfnissen ihrer Bewohner zu dienen. Das hätte zu einem wahren goldenen Zeitalter führen können … wäre nicht Jazz der erste Mensch gewesen, der ihr begegnet ist. Obwohl die Maschinenintelligenz
weit fortgeschrittener war als alles, was Jazz bis dahin erlebt hatte, war sie in der Lage, seine Mission zu
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