Die Herrschaft der Orks
die beiden Orks auf die Beine, hasteten den Gang hinab auf der Flucht vor den immer noch weiter steigenden Fluten.
»Da hinauf«, entschied Balbok plötzlich, als sie einen schmalen Schacht passierten, so steil, dass eiserne, in den Fels geschlagene Stiegen darin emporführten. Schon wollte der hagere Ork hinauf, als Rammar ihn an der Schulter packte.
»Ich zuerst«, verlangte er.
»Und wenn du stecken bleibst?«, fragte Balbok. »Wer zieht dich dann hinauf?«
Rammars stierer Blick verriet, dass er nachdachte. »Du zuerst«, entschied er, worauf Balbok im Schacht verschwand und behände nach oben stieg.
Rammar, dem das Wasser schon wieder bis zur Hüfte reichte, wartete ungeduldig, dann zog er sich unter wüsten Verwünschungen ebenfalls empor. Er hatte die unterste Sprosse gerade erklommen, als er hinter sich einen gellenden Hilferuf hörte.
»Ork! Hilf mir …!«
Rammar wandte sich um – und traute seinen Augen nicht. Dort in der Mitte des Stollens schwamm der Hauptmann der Zwergenwache, der sie noch vor nicht allzu langer Zeit hohnlachend in den sicheren Tod geschickt hatte.
»Hilf mir, Ork!«, schrie er, während er panisch mit den Armen ruderte. Zwar schien er ein leidlicher Schwimmer zu sein, doch das Gewicht seines Kettenhemdes zog ihn unaufhaltsam nach unten – und das Wasser war bereits zu tief, als dass ein Zwerg noch darin hätte stehen können … »Los, gib mir deine Hand!«
»Meine Hand«, echote Rammar, der sich mit der rechten Klaue an der Leiter festhielt – und ein wölfisches Grinsen verzerrte seine grünen Züge. »Wie du willst, Zwerg«, meinte er – und streckte dem Hauptmann bereitwillig seine Linke hin.
Der streckte sich dankbar danach aus – und griff ins Leere, denn wo eine Klaue hätte sein sollen, befand sich nur ein Stumpf.
»Oh, tut mir leid«, meinte Rammar, während der Zwerg von der Strömung erfasst und zurück in die Kaverne gespült wurde, wo der Höhlentroll auf ihn wartete. »Ihr hättet mir den saparak eben nicht abbrechen sollen!«
Damit wandte er sich wieder der Leiter zu und kletterte seinem Bruder hinterher. Ob es daran lag, dass er in der Gefangenschaft abgenommen hatte, oder ob es einfach nur der pure Wille war, der ihn vorantrieb, wusste Rammar nicht zu sagen, aber irgendwie gelang es ihm, seine Körperfülle den Schacht hinaufzuzwängen. Der Erschöpfung nahe wälzte er sich aus dem Ausstieg, der in einen von Lichtsteinen beleuchteten Stollen führte, und blieb beinahe reglos auf dem Rücken liegen. Nur sein Brustkorb hob und senkte sich in schneller Folge, während er zur Decke starrte und froh war, den verderblichen Fluten entkommen zu sein.
Balbok lag auf der anderen Seite des Ausstiegs, auch er am Ende seiner Kräfte. Nachdem er wieder ein wenig Atem geschöpft hatte, wälzte sich der hagere Ork jedoch herum und raffte sich wieder auf die Beine.
»Wir müssen weiter«, ermahnte er seinen Bruder.
» Korr , stieß Rammar hervor, noch immer auf dem Boden liegend. »Wir müssen rasch hinaus, ehe das Wasser noch weitersteigt.«
»Douk« , widersprach Balbok. »Wir müssen zum Kerker.«
»Hä?« Nun wälzte sich Rammar doch herum, um seinen Bruder ungläubig anzustarren. »Was sollen wir dort?«
»Dag und seine Prinzessin befreien«, entgegnete Balbok, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
»Wer sagt das? Du?«
»Königin Alannah«, verbesserte Balbok kopfschüttelnd.
Seiner Erschöpfung zum Trotz fuhr Rammar alarmiert in die Höhe. »Hast du sie ebenfalls gesehen?«
»Du also auch?«, fragte Balbok.
»Faulhirn, was geht dich das an? Du sollst keine blöden Fragen stellen, sondern antworten, wenn ich etwas wissen will! Also?«
»Ich bin ihr im Stollen begegnet«, rückte Balbok widerstrebend heraus, »kurz bevor Graishak kam. Der mit dem geschrumpften Kopf, du weißt schon …«
»Langweile mich nicht mit deinem Unsinn. Was hat das Elfenweib zu dir gesagt?«
»Dass wir einen Auftrag zu erfüllen haben. Und dass wir die Prinzessin befreien sollen.«
»Und deswegen willst du es tun?«
»Na ja, ohne das Mädchen kommen wir nicht an das Buch«, gab Balbok zu bedenken.
»Ich weiß«, knurrte Rammar. Er hasste es, wenn ihn sein Bruder belehrte.
»Also? Willst du mit in den Kerker kommen oder lieber hierbleiben, bis das Wasser steigt, und jämmerlich ertrinken?«
Rammar blieb auf dem Boden sitzen, die sich mehrfach faltenden Wangen auf die Fäuste gestützt.
»Ich überlege noch«, schmollte er.
17.
SAORSHA
Dag und Aryanwen
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