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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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verzog. »Die Stimmung da drin ist entsprechend geladen. Er hat eine Schusswaffe und bedroht sie. Sie ist aber noch am Leben. Wir haben sie vor fünf Minuten am Fenster gesehen. Unser Psychologe sagt, der Schneider ist verstört und aggressiv und hat kaum erfasst, in was für eine Lage er sich gebracht hat. Der weiß nicht mal, dass sein Haus umstellt ist. Wenn er mit mir redet, meint der, er wäre mit irgendeiner Wache in Ludwigshafen verbunden. Der glaubt, dass dieser Ritter demnächst mit dem Goldsack vor seiner Tür steht. Einfach so.«
    »Hauptkommissar Ebert«, sagte da einer der Beamten an den Telefonen.
    Ebert erhob sich. Der Beamte wies auf ein Mikrofon. Ebert drückte einen Knopf. »Hallo, Herr Schneider«, sagte er freundlich.
    »He«, sagte Schneiders Stimme laut. »Ist der Ritter jetzt da?«
    »Herr Dr. Ritter«, sagte Ebert, »braucht einen Beweis von Ihnen, Herr Schneider. Das müssen Sie verstehen. Eine Viertelmillion ist viel Geld, auch für einen wohlhabenden Unternehmer. Könnten Sie nicht ein Foto von dem Buch machen, mit dem Handy, das reicht schon –«
    »Meiner Frau glauben Sie, aber mir nicht, wie?!«, schnarrte Schneider. Seine Stimme hallte durch den Bus. »Das haben Sie sich so gedacht, dass Sie die über mich ausquetschen und mich gleich noch dazukriegen für das Geld! Da haben Sie sich geschnitten! Meine Frau wird Ihnen gar nichts mehr sagen, nichts, verstehen Sie? Meine Frau kommt mit mir. Ich gebe Ihnen das Buch, Sie uns das Geld, und wir verziehen uns. Aber wenn wir noch lange warten müssen, dann werde ich verdammt sauer! Sie können dem Ritter ausrichten, dass ich bald anfange, Seiten auszureißen! Sagen Sie’s ihm jetzt! Ich warte solang!«
    Ebert räusperte sich. Ein hagerer Mann, vielleicht der Psychologe, flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Es wird ein paar Minuten dauern, Herr Schneider«, sagte Ebert dann verbindlich. »Was macht eigentlich Ihre Tochter Lea, ist sie noch krank? Wir hörten, am Wochenende ging es ihr nicht so gut.«
    »Hören Sie mal!«, ranzte Schneider. »Wie soll’s der Kleinen gehen mit einer Mutter, die den eigenen Vater in den Knast bringen will? Was ist mit dem Ritter?!«
    »Gleich«, sagte Ebert. »Ich würde gern mal mit Lea reden, wenn Sie es erlauben.«
    »Ich erlaube es nicht! Sie haben mit meiner Tochter nichts zu schaffen! Pädophiler Arsch!« Damit unterbrach Schneider die Verbindung.
    Sie sahen sich an.
    »Mannmann«, sagte Ebert.
    Der mutmaßliche Psychologe machte ein bedenkliches Gesicht. Jaecklein ging so weit, seine Brille hochzuschieben. Bettina fühlte sich schwer und müde. Sie entschuldigte sich und verließ den Bus, zum Rauchen.
     
    Es dauerte noch Stunden. Wieder einmal durfte Bettina nicht nach Hause gehen. Sie war Zeugin und ermittelnde Beamtin und Vertraute der Geisel, die vielleicht wieder anrufen würde, da musste sie in Reichweite sein. Also war Bettina in Reichweite, obwohl die Geisel nicht anrief und vermutlich längst nicht mehr telefonieren durfte oder konnte. Bettina dagegen blieb nichts anderes als das Telefon, um ihr Privatleben am Laufen zu halten. In einer Art ultimativem Hilferuf, in dem sie praktisch alles versprach, was sie hatte, nötigte sie ihre Babysitterin, Hardrock-Erika, die Kinder abzuholen, falls es später würde. Dann saß sie hauptsächlich auf einem Mäuerchen hinter dem Einsatzbus in der Sonne und rauchte. Die Verhandlungen mit Schneider erwiesen sich als fürchterlich mühsam. Worauf es ankam – den Beweis, dass er das gestohlene Buch besaß –, kapierte er nicht. Zumindest hatte man diesen Eindruck, wenn man die Gespräche im Bus verfolgte. Der Geiselnehmer tobte vor Wut und Misstrauen, seine Antworten waren wenig mehr als zornige Monologe, und er wollte nur eins: Dr. Ritter sprechen. Alle Zweifel, dass er überhaupt im Besitz des Buches war, nahm Schneider kaum wahr, bestenfalls tat er sie als Schikane ab, was auf Dauer etwas unwiderstehlich Überzeugendes hatte. Andererseits blieb er auf die Art eben den Beleg schuldig. Und ganz doof war er auch nicht. Er wusste genau, was er sich erlauben durfte. Er schickte zum Beispiel seine Frau ans Fenster, nicht aber an die Tür, er redete ausführlich von den Dingen, die er ihr antun wollte, falls jemand ans Haus käme, beschrieb seine erstklassige Aussicht und Schussposition aus dem Obergeschoss, zählte langatmig sein Arsenal auf und jammerte furchterregend sentimental über das verpfuschte Leben seiner Tochter. Seine Taktik, wenn man es so nennen konnte,

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