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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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mitleidigen braunen Augen an, und die fragte sich, wem dieses warme Mitgefühl galt. »Jetzt ist die Kleine wenigstens raus da.«
    »Was ist mit Ritter?«
    Die Kollegin zuckte die Achseln. »Noch unterwegs.«
    »Und Schneider?«
    »Ist mit seiner Frau weitergefahren.«
    Nun wusste Bettina auch, woher dies trockene Schluchzen kam, das so hohl über den Gesprächen der Kollegen lag: Es musste Vera Schneider sein, die weinte.
    »Hör auf zu flennen, Schlampe!«, brüllte es plötzlich überlaut durch den ganzen Bus, und jeglicher Laut bis auf Vera Schneiders Schluchzen erstarb.
    Der Psychologe schubste Ebert Richtung Mikrofon. Doch der saß starr.
    »Du hast dein Kind vergiftet«, hörten sie Schneider. »Die Bullen hatten recht.«
    »Das war sicherer.« Vera Schneiders Schluchzen verebbte. »Lea hätte dich doch bloß genervt. So wie immer. Sie hätte deinen Irrsinn nie freiwillig mitgemacht. Ich hab sie gerettet! Du hättest sie längst erschossen. Du wolltest sie sowieso nicht. Schon als Baby nicht.«
    Der Psychologe drückte den Knopf, den Ebert nicht bedienen wollte, selber. Sie hörten ein Handy läuten.
    »Scheiß Bullen«, sagte Schneider müde. Dann waren da schrille Geräusche, ein Krachen und ein durchdringender Pfeifton.
    »Er hat was rausgeworfen«, kam kurz darauf eine Funkmeldung. Ebert sah nur auf und blickte den Psychologen an. Der hob bedauernd die Schultern.
    »Du hast es versaut«, fasste der ferne Schneider die Situation zusammen.
    »Du wirst dein blödes Lösegeld niemals kriegen«, sprach seine Frau nachdrücklich. Die Polizisten sahen sich an. Jetzt endlich redete Vera Schneider Tacheles. »Wenn du glaubst, dass dieser Ritter wirklich kommt und die Polizei dich mit seiner Viertelmillion entkommen lässt, musst du verrückt sein.«
    »Vielleicht bin ich das.« Das klang gefährlich.
    »Du bist dumm.«
    »Wir hätten eine halbe Million haben können«, sagte Schneider trostlos. »Ganz einfach. Wieso musstest du zu den Bullen gehen?«
    Sie schwieg.
    »Wieso?!«, brüllte er plötzlich. »Ich hab es für euch getan!«
    »Nein«, war die Antwort. »Nein, nicht für uns. Du hast es für dich getan. Für deine Schulden. Uns wolltest du doch nur loswerden.«
    »Ohhh«, machte Schneider.
    Die Polizisten sahen sich an. Schulden? Was für Schulden? Das Darlehen fürs Haus? Die Hypothek? Andere Schulden gab es im Hause Schneider nicht. Jedenfalls keine, die bei der Schufa eingetragen waren.
    »Du hast uns nie gemocht«, sprach Vera Schneider mit erstickter Stimme. »Keinen von uns.«
    Ihr Mann schwieg.
    »Nimm meinen Bruder.« Sie räusperte sich hart. »Der würde noch heute auf die Fliesen in seinen Bädern warten, wenn er es nicht irgendwann selbst gemacht hätte.«
    Schweigen.
    »Dabei hat er unser ganzes Dach gedeckt.«
    »Darum ist auch die Dämmung durchgeweicht«, ließ sich Schneider zu einer Antwort hinreißen.
    »Mein Bruder ist stinksauer auf uns!« Nun begann Vera Schneider doch wieder zu weinen. »Und meine Schwester wartet seit drei Jahren – drei! Jahren! – auf diese Metallprofile, die in deiner Garage liegen, die du einmal kurz kanten müsstest, das ist eine Arbeit von einer halben Stunde. Weißt du noch, was meine Mutter gesagt hat?«
    Schweigen.
    »Keiner will mehr was mit uns zu tun haben«, weinte Vera Schneider. »Und was machst du? Du gehst zocken!«
    Die Antwort darauf war nur ein unbestimmtes Brummen.
    »Und saufen!«
    »In Spielotheken wird kein Alkohol ausgeschenkt.«
    »Zu diesen, diesen – Schlampen!«
    »Die Mädels da haben vielleicht mehr Charakter als du.«
    »An unseren Sonntagen! Wenn andere Familien in den Holidaypark gehen!«
    »Oder dem Bruder das Bad fliesen«, sagte eine halblaute Stimme neben Bettina. Doch der Kollege hatte nicht mit ihr geredet. Ein anderer weiter rechts nickte ergeben.
    »Nicht, dass wir noch einen Pfennig übrig hätten für so was! Ich kauf schon das alte Obst beim HL-Markt –«
    Bettina schaltete ab. Sie stand unbequem gegen einen Einbauschrank gelehnt, das Rollen des Busses ließ ihre ohnehin zittrigen Knie vibrieren, und die Kollegen passten ja auf. Vera Schneiders Stimme war nach wie vor gefällig, sie hatte einen gewissen Sog, der die Zuhörer wach hielt, egal, was sie sagte. Da war so ein Aufstreben in ihrem Tonfall, das erst nach längerer Zeit schal wirkte, ein Zwitschern und Schmeicheln, das ihre Worte eindringlicher machte, auch wenn sie heulte und selbst wenn sie dabei noch anfing zu rechnen. Und das tat sie. Ausgiebig. Was wollten

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