Die Herzen aller Mädchen
Info gibt es nicht. Wenn es das Navi nicht findet, müsst ihr halt noch mal anrufen.«
»Gut.«
»Ein bisschen heikel ist es, Boll, die Syra ist wichtig für uns, weißt du ja, jedenfalls, der Herr Hauptkommissar bittet euch, einen entsprechenden Eindruck zu machen.« Im Hintergrund hörte Bettina nun schwach Hauptkommissar Härtings dünne Stimme. »Die Teilnahme an der Soko ist gut für uns«, fasste Reinhert dessen unverständliche Rede zusammen. »Ihr wollt den Fuß weiter rein beim BKA und vor allem Kontakte zu dieser Genfer-Herold- Versicherung, die da mit drinhängt, denn ihr macht ja jetzt die Kunstsachen mit. – Ja, ich sag’s ihr. Also, diese Versicherungsfritzen haben die größte private Ermittlungsabteilung in ganz Europa, die sind fit, die will Herr Härting persönlich zum Freund, Boll.«
»Okay. Reinhert?«
»Ja?«
»Warum wollen wir ausgerechnet heute rein?«
»Sagt dir das BKA«, sagte Reinhert knapp und legte auf.
Willenbacher wusste es, natürlich. Er war früh im Büro gewesen und kannte alle Meldungen. Doch er verriet Bettina nichts davon. Seinen Wissensvorsprung kostete er selbst heute bis ins Letzte aus. »Dieser Typ«, sagte er nur achselzuckend, während er mittels einer Art Zahnstocher Daten in den Minicomputer seines Navigationssystems eingab. »Klar. Ich hab mich schon gewundert, dass wir den nicht längst mal überprüft haben. Der ist eindeutig nicht ganz joker.« Und piekste weiter auf das Navi ein.
Bettina fand ihn ziemlich undankbar. Immerhin hatte sie extra eine neue Babysitterin aufgetrieben, weil sie an diesem Samstag auf eine letzte Tour mit ihm gehen wollte. »Welcher Typ?«
»Na, dieser Schriftsteller«, erwiderte Willenbacher. »Wie schreibt sich Rosenhaag noch mal?«
Unwillig buchstabierte Bettina und dachte, dass ein Sekt am Nachmittag und ein warmer Händedruck für Willenbacher dicke gereicht hätten. Stattdessen ließ sie ihre Kinder für den Gegenwert einer Flasche Champagner beaufsichtigen, saß frühmorgens in einem kalten Auto, sah ihren Atem vor sich und musste ihrem Kollegen auch noch die Würmer aus der Nase ziehen. »Was für ein Schriftsteller?«
Willenbacher tippte erst sorgfältig alle Buchstaben auf dem winzigen Computerdisplay an. Dann schenkte er Bettina einen mitleidigen Blick. »Der Typ war gestern Abend im Fernsehen. In so einer Talkshow. Krampe, das weißt du doch, wir haben ein Dossier über den gemacht.«
Bettina schüttelte alarmiert den Kopf: Das wüsste sie.
»Na, dann war ich es allein. Aber die Dossiers sind zum Lesen da, Bolle.«
Willenbachers Gerät gab ein paar muntere Töne von sich, dann startete der Kollege endlich den Wagen. »Du informierst dich nicht«, nörgelte er.
»Das ist dieser Krampe?«, fragte Bettina, die jetzt noch viel mehr bereute, die Dossiers nicht zu kennen.
»Dieser.« Willenbacher drückte ein paar Knöpfe, worauf eisige Luft in Bettinas Gesicht geblasen wurde. »Dauert ein bisschen, bis der Motor warm wird«, erklärte er zufrieden, rollte aus der Parklücke und gab Gas.
»Ich hab ihn gesehen«, sagte Bettina. »In der Sendung. Er war der Hammer, weißt du.«
Willenbacher warf ihr einen Blick zu. »Krampe ist der wissenschaftliche Bibliothekar dort. Er kann mit allen Büchern, inklusive dem Ovid-Manuskript, machen, was er will, und das tut er. Er hat eine Forschungsgesellschaft gegründet, die sogenannte Medea-Gruppe, und er schreibt eine Arbeit über das Werk. Er ist rührig, gut organisiert und groß im Geschäft, ganz groß sogar, seit seine Bibliothek dieses Buch an Land gezogen hat.« Willenbacher drückte an seinem CD-Player herum. »Er profitiert. In verdächtigem Maße.«
»Er sieht interessant aus«, sagte Bettina träumerisch. Willenbacher schnaubte. »Wenn du mich fragst, hat er das Ding in irgendeiner alten Bibliothek geklaut und an sich selbst geschickt.« »Ist er heute da?«, fragte Bettina. Die Musik sprang überlaut an.
… dein kleines Bettchen vom Blut ganz rot …
»Natürlich nicht«, schrie Willenbacher und fummelte gereizt am Lautsprecher. »Deswegen gehen wir ja hin. Weil irgendein Typ vom BKA ihn im Fernsehen gesehen und sich wieder an die Soko erinnert hat. Und weil wir da in seinem Schreibtisch schnüffeln können.«
… die Sonne geht auf und du bist tot …
Der Ton wurde leiser. »Ich dachte, Annette steht nur auf Kuschelrock«, sagte Bettina. Annette war Willenbachers Freundin. Inzwischen bestimmte sie die Musikauswahl in diesem Auto, auch in körperlicher
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