Die Herzen aller Mädchen
mich. Es war billig, dir so nachzuschnüffeln. Nur ist dieser Eintrag verdammt interessant. Und ich bin Bulle genug, um meine Integrität zu vergessen, wenn’s interessant wird.«
»Wieso liest du eigentlich anders als deine Kollegen?«
»Frau Ballier hat mir einiges beigebracht.«
Er schlug seinen Kalender wieder auf. »Das ist nur Gekritzel!«
»Ja, ich weiß, und was Ballier gesagt hat, war nur eine Frotzelei. Ich wäre so besorgt um dich, hat sie gemeint, dass ich keine vernünftige Recherche mehr machen könnte und nicht mal die Mona Lisa finden würde, wenn sie vor mir hinge. Ein harmloser Witz. Andererseits war es eine verdammt merkwürdige Übereinstimmung. Eine Art geheimes Losungswort, das Ballier nicht für sich behalten konnte. Mona Lisa. Vermutlich das häufigste Losungswort der Neuzeit. Kaum ernst zu nehmen.« Sie feixte. »Ich dachte ja zuerst, es wäre eine italienische Freundin von dir. Eine Frau.«
Gregor starrte sie an. »Lisa del Giocondo war eine Frau. Alle anderen Behauptungen sind kunsthistorische Akrobatik.«
»Das weiß ich nicht. Zum Glück interessiere ich mich nicht sehr für Kunsthistorie. Sonst hätte mich einer von diesen dicken Wälzern sicher verschluckt.« Bettina legte die Hände auf die Tischplatte. »Das sind Fallen. Denen bin ich entkommen. Obwohl ich ehrlich versucht habe, sie zu lesen. Aber dann hab ich was Besseres gefunden. Denn ich interessiere mich mehr für –«
»Billigen Grusel«, sagte Gregor fies.
»Kriminalgeschichten. Und von der Mona Lisa gibt es eine schöne.«
»Nein«, sagte Gregor.
»Doch. Sie machte einen gewissen Eduardo de Valfierno zum steinreichen Mann. Er war einer der wenigen glücklichen Kunsträuber der Geschichte. Zu Unrecht vergessen. Im Jahr 1911 ergaunerte er ein Vermögen und lebte von da an zufrieden auf einem Gut irgendwo versteckt im tiefen Afrika. Er stahl die Mona Lisa.«
Gregor schloss den Mund, der gerade etwas hatte sagen wollen.
»Zu dieser Zeit«, sagte Bettina, »gab es im Louvre wenig Sicherheitsvorkehrungen. Die Mona Lisa hing ungeschützt an vier Wandhaken.« Sie beugte sich vor. »Stell dir vor: Ein einfacher Arbeiter konnte sie stehlen. Ich weiß natürlich nicht, ob dieser Mann so einfach wie euer Marc Schneider war. Und selbstverständlich war er auch kein Baumaschinenführer. Er war Glaser. Ein Glaser namens Peruggia. Er ließ sich nachts mit zwei Komplizen in einer Abstellkammer des Louvre einschließen, zog am Morgen darauf den weißen Kittel der Reinigungskräfte über und marschierte mit seinen Kumpanen in den Salon Carré, wo das Gemälde hing. Dort nahmen die drei es von der Wand und spazierten damit unbehelligt aus dem Museum.« Sie blickte Gregor in die grauen Augen. Die sahen blank aus. Ganz glatt und hell, wie Bettina schon viele Augen gesehen hatte. Bei Gregor gefiel ihr das nicht. Sie ließ sich in die Polster der Bank zurücksinken. »Das Gute an Peruggia war«, sagte sie leise, »dass er seine Frau nicht umgebracht hat. Peruggia ist Mensch geblieben. Er arbeitete nicht mal für einen Mörder. Er war vernünftig.«
Gregor schloss die Augen.
»Obwohl er ganz fürchterlich gelinkt wurde. Denn sein Auftraggeber hat ihn nie bezahlt. Niemals. Peruggias Anstifter war an der echten Mona Lisa nicht interessiert. Er wollte nichts weniger als eine Verbindung zu ihr oder dem Dieb. Er hat nur veranlasst, dass sie gestohlen wurde und lange verschollen blieb.« Bettina beugte sich wieder vor. »Damals waren die Verhältnisse allerdings noch andere. Man ließ sich mehr Zeit. Ihr dagegen hättet euch eigentlich denken können, dass im Zeitalter des Artnappings sofort riesige Lösegelder ausgelobt werden.«
Gregor schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf.
»Andererseits ist es recht praktisch für euch, nicht wahr, dass der Ovid jetzt unter so zweifelhaften Umständen verbrannt ist. Das kommt eurem Plan fast mehr entgegen als ein kleiner unbedarfter Dieb, der nicht weiß, wohin mit dem guten Stück. Ist es nicht so? – Peruggia hat das Bild am Ende einfach zurückgegeben. Das müsst ihr nicht fürchten. Dank Herrn Schneider und seiner Frau ist für alle Zeiten ausgeschlossen, dass der echte Kodex wieder auftaucht.«
Gregor senkte den Kopf noch ein bisschen tiefer.
»Aber genug von verblendeten, verführten und zerstörten Familien«, sagte Bettina munter, »kommen wir lieber zum Star der Geschichte: Eduardo de Valfierno. Der Drahtzieher.«
Gregor schaute auf. »Er hat nichts Verbotenes getan!«
»Fast
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