Die Herzen aller Mädchen
nichts«, sagte Bettina.
»Bettina«, sagte Gregor. In seinen Augen glomm so etwas wie ein schwaches, hoffnungsvolles Fieber. »Ich bitte dich. Er hat doch keine Straftat begangen, nicht die kleinste!«
»Er hat sich einen Kopisten gesucht«, sagte Bettina.
»Das ist nicht illegal!«
»Dem gab er den Auftrag, sechs Kopien herzustellen«, fuhr sie fort, rollte ihre Haare im Nacken zusammen und stopfte sie in den Kragen. »Es waren doch sechs, nicht wahr?«
Gregor biss sich auf die Lippen.
Bettina machte eine wegwerfende Geste. »Sagen wir, eine bestimmte Menge von Kopien. Die genaue Anzahl ist unwichtig. Jedenfalls mehrere. Mit einem Schwarzmarktpreis von astronomischer Höhe.« Sie sah Gregor mit schräg gelegtem Kopf an. »Was bringt so ein Ovid? Zwei Millionen? Frau Ballier wusste es genau, nicht wahr? – Valfierno kassierte damals dreihunderttausend Dollar pro Stück. Das wären heute 40 Millionen Euro. Aber er war ja auch ein Profi.«
»Seine Kundschaft«, sagte Gregor trotzig, »waren reiche Säcke, die glaubten, das wertvollste Bild der Welt zu kaufen. Welchen Schaden kann man denen schon zufügen? Wo ist die Straftat? Sag es mir!«
»Es geht mir nicht um die reichen Säcke«, sagte Bettina, »es geht mir um Frau Syra, meine Chefin.«
»Die hat Ballier erschossen.«
»Und um das Ovid-Manuskript.«
»Das hat Schneider gestohlen.«
»Ja, natürlich«, sagte Bettina verächtlich. »Du hattest bisher noch keine glaubwürdige Rolle in dem Drama. Zugegeben. Dein Argument hat sich im Verhör ganz gut gemacht. Wenn die Ballier das Originalmanuskript gewollt hätte, dann wärst du nur lästiger Ballast gewesen. Aber Ballier trug nicht das echte Buch in der Tasche, als sie meine Chefin einfach abgeknallt hat. Die Ballier hatte die Kopien.« Sehr leise fügte sie an: »Sie hatte sie von dir. Du bist elegant. Du bist ein Zocker. Du bist der Auftraggeber.«
»Ich bin kein Mörder«, sagte Gregor.
»Wer die Waffe in die Hand nimmt, wird sie benutzen«, sagte Bettina. »Das macht uns Polizisten so unbeliebt.«
»Ich besitze keine.«
Sie seufzte. »Ich hab einen guten Bekannten beim BKA. Der hat für mich in Pisa Nachforschungen anstellen lassen. An diesem siebzehnten April warst du dort, aber in keinem deiner Stammhotels. Du warst auch nicht bei deinem Händler. Du hast dir ein Auto geliehen und bist damit knapp fünfhundert Kilometer weit gefahren, wohin auch immer. Du hast nichts gekauft und keine Antiquitäten ausgeführt. Aber du könntest dort einen gewissen Smith getroffen haben.«
»Nein.«
»Auch bekannt unter dem Namen Freestone. Das Fälschergenie. Der Typ, der die Welt um einen ganzen Haufen alte Meister reicher gemacht hat. Wir wissen, dass er sich gern in den Apuanischen Alpen aufhält. Gut zweihundert Kilometer von Pisa entfernt. Irgendwo dort im Hinterland hat er sich so eine Art Altersruhesitz eingerichtet, aber es heißt, er wäre noch einigermaßen fit. Und soviel ich weiß, ist er ein alter Freund eurer Familie. Dein Vater erwähnt ihn in seiner Biografie.«
»Himmel«, sagte Gregor, »los, komm mit eine rauchen.« Er stand auf.
Bettina blieb sitzen. »Wo willst du hin?«
»Wohin du mich lässt.«
»In die Raucherlounge«, sagte sie.
In der Raucherlounge war es stickig und ungemütlich, ein winziger, verräucherter Glaskasten voller hastiger Menschen, die sich kaum setzten, sondern sich mit Suchtgesichtern ihre paar Züge reinpfiffen. Der rechte Ort für einen unglücklichen Abschied. Wie ein Bahnhof im Regen, nur nicht nass.
»Mein Chefin, die jetzt tot ist, hat mich vor dir gewarnt«, sagte Bettina und lehnte sich an die Glaswand.
Sie sah aus wie der schönste Mensch und wie der hässlichste. Ihre roten Haare schimmerten dunkel in all dem grauen Rauch, ihre Haut war blass und zart mit Sommersprossen getupft, ihr Gesicht zu scharf und schmal, ihre Klamotten unmöglich, irgendwelches grünes Zeug aus dem Polizeifundus, gepolsterte, unförmige Kunstfaser, und ihre Augen blickten abwehrend und kühl. Gregor gab ihr eine Zigarette ab und stellte sich so nahe, dass er sie zumindest riechen konnte. Das Erdige an ihr gefiel ihm. Die Vanille.
»Sie meinte, ein Mann, der grundlos seine Universitätskarriere aufgibt, ist gefährlich.«
Gregor grinste schwach. »Das haben meine Kollegen auch gesagt.«
»Wieso hast du es dann gemacht?«
»Damit mich zumindest ein paar alte Akademiker und Polizisten für gefährlich halten.«
Sie ging auf den Ton nicht ein. »Aber das Buch!«, sprach
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