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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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gute.
    So eine kenne ich nicht.
    Johnny lachte wieder. Zu dumm. Dann musst du eine abgehobene Gelehrtengeschichte nehmen. Sein Lachen wurde fies und verhallte. Zum ersten Mal fühlte Gregor sich verlassen ohne ihn.
    »Ich kann dir erklären, warum ich von der Uni weg bin«, sagte er laut zu Bettina und warf seine angerauchte Zigarette fort wie einen Köder. Sie landete auf dem Boden, wo er sie austrat, die Mädchen mit den weißen Ohrstöpseln sahen es mit Befremden.
    »Warum?«, fragte Bettina.
    Er sagte das Erste, was ihm einfiel: »Ich hatte eine Theorie, eine spektakuläre und verdammt gute, aber mit meinem Abenteuerromanvater hatte ich damit keine Chance. Ich darf so was einfach nicht.«
    »Was?«
    »Denken«, sagte er.
    »Was ist das für eine Theorie?«, fragte sie und sah immer noch misstrauisch aus, aber auch bereit, sich mitreißen zu lassen. Das war das Reizvolle an ihr. Dieses halb widerstrebende, halb lustvolle Zuhören. Das Intensive.
    »Es ist ein bisschen kompliziert.«
    Bettinas Gesicht wurde nicht abweisender.
    »Es geht um Ovid.«
    »Okay«, machte sie. Es klang fast erwartungsvoll.
    »Ovid wurde verbannt, ans Schwarze Meer, man weiß bis heute nicht genau, warum.«
    In Wahrheit hatte er diese „Theorie als ganz junger Student entwickelt, als eine der vielen Hausarbeiten, die er im Lauf der Jahre angefertigt hatte, wieso ihm ausgerechnet die jetzt einfiel, wusste er nicht. Sie hatte ihm nur eine Drei eingebracht. Darunter hatte gestanden: Die Ursachen von Ovids Verbannung sind Gegenstand unendlich vieler Spekulationen, und es ist nicht unsere Absicht, die noch zu vermehren. Ihre Argumentation ist bestechend, aber Sie hätten sich auf die Charakteristik von Frauenfiguren in seinem Werk konzentrieren sollen.
    »Wegen seiner versauten Schriften«, sagte Bettina sachverständig.
    Gregor lächelte. »So versaut waren die auch wieder nicht.«
    »Weil er ein freier Denker war und Kaiser Augustus diese Unabhängigkeit nicht leiden konnte.«
    »Stimmt, aber Augustus war kein unvernünftiger Despot. Es muss mehr vorgefallen sein.«
    »Und was?«
    »Das«, sagte Gregor, »ist eben die Frage. Augustus hat keine Erklärung dafür abgegeben, und Ovid auch nicht.«
    »Wieso Ovid nicht?«
    Gregor schob sich etwas näher an sie heran, doch erreichte nur, dass sie das glühende Ende ihrer Zigarette gegen ihn richtete wie eine Mündung. »Weil er«, sagte er über die Glut hinweg, »bis an sein Ende gehofft hat, dass er zurückkehren dürfte.«
    »Durfte er aber nicht«, sagte Bettina, und die Festigkeit in ihrer Stimme klang viel zu aufgesetzt, um glaubhaft zu sein. Ihr finsterer Blick war nur ein lächerlicher Versuch.
    »Das war sehr ungerecht«, sagte Gregor leise. »Seine Verfehlung war nämlich nicht gerichtsverwertbar. Er hat nichts getan, was wirklich strafbar war. Er ist nur in Ungnade gefallen.«
    Ihre Zigarette glomm auf, ihre Augen funkelten, und er hoffte halb, dass sie ihm Rauch ins Gesicht blasen würde. Dann konnte er genauso vulgär werden. Doch sie schien den Rauch einfach zu absorbieren, nahm die Kippe aus dem Mund, warf sie haarscharf über seine Schulter auf den Boden und sah weg.
    »Er selbst spricht von carmen und error«, sagte Gregor schnell.
    »Aha.«
    »C armen bedeutet Dichtung, und tatsächlich wurden mit Ovids Verbannung auch alle Exemplare der Liebeskunst aus den römischen Bibliotheken entfernt. Doch allein, dass sie heute immer noch verfügbar ist, zeigt, wie ernst dieses Verbot war.«
    Sie blickte grimmig, wie um zu beweisen, dass es ihr sehr wohl ernst war.
    »Und das Wort error bedeutet Irrtum.«
    »Ich dachte, er hatte gar nichts zu bereuen«, erwiderte Bettina spitz.
    »Er war todunglücklich.«
    »Vermutlich war er wirklich unschuldig.«
    »Bestimmt.« Gregor schob sich so weit vor, dass er ihre Schulter unter dem schrecklichen grünen Pullover spürte. »Er sagt damit, dass er unabsichtlich Zeuge eines Skandals wurde, der das Kaiserhaus betraf. Die gängigste Theorie ist, dass er von irgendwelchen Intrigen um die Thronnachfolge des Augustus wusste. Das ist natürlich sehr weit gefasst. Im Grunde kann es alles heißen. Meine Theorie dagegen ist genauer. Doch leider«, sagte er mit einem traurigen kleinen Seufzer, »hat sie mir nur Hohn eingebracht.«
    »Warum?«
    Täuschte er sich, oder war da so etwa wie Anteilnahme in Bettinas Stimme? »Sie ist nicht nachprüfbar. Und nicht relevant. In der Forschung interessiert man sich nicht für Kriminalgeschichten.« Er lächelte kurz

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