Die Herzen aller Mädchen
Karriere, und wenn der andere Neue kommt, muss ich aus meinem Büro raus.« Und ein Baby muss vielleicht meinetwegen sterben, setzte sie innerlich hinzu.
Ackermann ließ sich von ihrer deprimierten Stimmung nicht anstecken. »Ich hörte, der andere Neue kommt schon im Mai, und der ist bestimmt netter als der olle Will mit seinen tausend Macken.« Er stieß Bettina kameradschaftlich in die Seite. »Frischfleisch, Bolle!«
Sie schüttelte nur den Kopf.
»He! Ist doch gut, wenn sich am Trott mal was ändert. Willenbacher macht’s richtig. Er will sich entwickeln.«
»Hm«, machte Bettina finster.
»Hör mal«, sagte Ackermann, »das Leben ist nicht dazu da, um ewig beleidigt zu sein.« Damit sprang er vom Tisch, klopfte auch Bettina auf die Schulter, als sei das ihre Party, und spazierte in die Ecke, zu Nessa Kaiser, der neuen Kollegin. Zu der Frau also, die Willenbacher ersetzen sollte und die halbe Bettina gleich mit. Ackermann, der Opportunist, stellte sich als Erster fröhlich zu der Neuen und brachte sie zum Lachen. Ein nervöses Lachen, fand Bettina. Eine nervöse Frau, mit rot gefärbter Mähne, in genau dem gleichen Ton wie ihre eigene Haarfarbe, nur benutzte Nessa Kaiser Chemie, man sah es am Ansatz. Und sie lachte zu laut.
Aber immerhin lachte sie. Und sie würde Willenbachers Schreibtisch bekommen.
Drei
Montag darauf war am frühen Morgen ein Treffen der Soko Ovid angesetzt, an das Bettina nach allen bislang gemachten Erfahrungen nicht glaubte. Trotzdem bemühte sie sich sehr, pünktlich zu sein. Denn sie ahnte, dass Härting, der außer ihr noch nie eine Halbtagskraft in seinem Team geduldet hatte, ihre Anwesenheit überprüfen würde. Und wenn das Treffen ausfiel, hatte sie wenigstens ausreichend Zeit, um die Tagesmeldungen zu lesen. Jetzt, wo Willenbacher nicht mehr da war, musste sie das nämlich selbst tun.
Zu Bettinas Erstaunen jedoch war der große Konferenzraum bereits voll, als sie eintraf, und es drängten weitere Kollegen nach, Leute, die sie nie zuvor gesehen hatte, in eleganten Anzügen. Härting und Ackermann saßen schon am großen Rundtisch und nickten ihr wichtig zu. Bettina setzte sich neben Müller von der Spurensicherung, obwohl Müller es nicht mochte, wenn man sich neben ihn setzte. Bettina wusste aber, dass er ihre Nähe eigentlich doch gern hatte, deshalb hatte sie auch kein Problem damit, dass er sofort spontan abrückte, ungemütlich auf seinem Stuhl herumrutschte und ein schlaffes »Morgen« in ihre Richtung murmelte.
»Morgen«, sagte sie fest.
Und dann ging es auch schon los.
Zuerst stellten sich alle möglichen Leute gegenseitig vor. Ihre Namen verschwammen sofort in Bettinas Kopf, und sie vermisste Willenbacher, der sie sich gemerkt hätte. Dann dachte sie, dass Willenbacher mehr behielt, weil er mehr aufschrieb, das war kein Hexenwerk, also kramte sie Block und Stift aus der Tasche und verpasste so die Vorstellung der Soko-Leiterin, einer sehr kleinen, sehr faltigen und sehr dunkeläugigen Frau undefinierbaren Alters.
»Wie heißt die noch?«, fragte sie flüsternd in Müllers Richtung.
»Syra vom BKA«, gab der fast unhörbar zurück.
Frau Syra vom BKA versprach, es kurz zu machen, und tatsächlich verzichtete sie auf einen langen Vortrag zum Thema Liebeskunst. Mit dem lapidaren Satz »Das ist das Buch, um das es geht« reichte sie den Prospekt mit Bacchus und Ariadne herum, den Bettina schon kannte. Launige Bemerkungen zu dem frivolen Bild gab es keine, was vermutlich an Syras strengen schwarzen Augen lag. Sofort darauf wurde das Licht gedimmt, ein Beamer eingeschaltet, Syra drückte einen Knopf ihres Laptops, und an der Wand erschien ein Bild von Gregor Krampe.
»Dies ist Dr. Gregor Krampe, der Hauptbibliothekar und Kurator der Ritter-Sammlung in Rosenhaag bei Ramsen, wo sich das Manuskript befindet. Seine Vita können Sie in unserem Dossier nachlesen. Der Vater war Romanautor, daher kennt sich Krampe mit dem Vermarkten von Büchern aus. Und das tut er, Leute. Er hat seinen Fund nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet, hat ein Forschungsprojekt gegründet, tritt im Fernsehen damit auf, er produziert Werbematerial«, Syra wies auf das Faltblatt, »kurz, er versucht sein Bestes, um einen echten Medienhype loszutreten, als wär das Buch ein junger Eisbär. Und dafür, dass dies alte verstaubte Schriftstück keine Knopfaugen hat, ist er auch ziemlich gut im Geschäft damit.«
Nun gab es ein paar höfliche Lacher, die sicher auch der Autorität von Syra
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