Die Herzen aller Mädchen
der Ahnung hatte. Ein Fingerabdruck, der auf einer kleinen Stahlplatte aus dem Inneren der Bombe gesichert worden war, wurde groß herausgestellt, doch leider konnte der Abdruck keinem einschlägig vorbestraften Spezialisten zugeordnet werden und mochte noch aus den unschuldigen Zeiten des Blechs stammen, als es zum Beispiel im Baumarkt lag und darauf wartete, eine brave Verbindungslasche oder Ähnliches zu werden. Bilder von verkohlten Drähten folgten.
»… wurde einfaches Schwarzpulver verwendet, aber mit einem sehr verschachtelten Zünder. Sorgfältige, komplizierte Arbeit, Leute. Da hat sich jemand lange beschäftigt. Ein Meditativer. Ein Bastler. Einer, dem der Bau dieser Bombe Genuss bereitet hat. Einer«, schloss Syra, »der vielleicht auch am Tatort war, um das Ergebnis seiner Bemühungen zu beobachten.«
Nun zeigte sie Bilder von Vorgarten und Straße, von Menschen, die herumstanden und schauten, von einem Mann, der mit Feuerwehrleuten sprach.
»Gregor Krampe«, warf sie einen Namen in das ahnungsvolle Schweigen, »ist bislang nur verhört, aber nicht verdächtigt worden, denn seine Fingerabdrücke stimmen nicht mit dem auf dem Blech überein. Seine Aussagen können Sie nachlesen. Er ist Frau Krampes nächster Angehöriger, und er ist kurz nach der Explosion am Tatort erschienen.«
Zum ersten Mal hielt Syra in ihrer Rede inne. Durch die Dunkelheit hindurch musterte sie alle Anwesenden genau. Der schüchterne Müller neben Bettina rutschte sofort unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Allgemeiner Verdacht gegen Krampe machte sich breit. Selbst Bettina, die ihn doch sympathisch fand, hätte ihn in dem Moment am liebsten wegen Mordversuchs an seiner Mutter hopsgenommen.
»Doch das alles, Leute«, sagte Syra nun sehr sanft, »sind nur die Wirbel und Randerscheinungen zu unserem Fall. Die Herkunft der Bombe ist so ungewiss wie die des Manuskripts, mit dem Unterschied, dass wir den Bombenbauer leichter finden können, und das wird uns einen größeren Überblick verschaffen. Momentan ist Gregor Krampe die augenfälligste Verbindung. Aber nicht die einzige. Wir haben nämlich noch ein sehr interessantes Indiz.«
Nun schlich sich leiser Triumph in Syras Stimme, der auch erhebend auf die Anwesenden wirkte: Man richtete sich auf. Syra drückte die Bombenbilder weg und das Foto einer südlichen Küste erschien. Bettina sah, wie sich Härting, der seine Brille nicht aufhatte, weit vorbeugte und seinen Mund mitbewegte, während er lautlos die muntere Aufschrift las: Mille saluti del Lido di Ostia.
Bettina stieß Müller an. »Ist das Italienisch? Was heißt das?«
»Irgendwas mit Grüßen«, flüsterte Müller. »Viele Grüße vom Strand von Ostia.«
»Diese Postkarte haben wir in Frau Krampes Mülleimer gefunden. Sie wurde am Samstag kurz vor dem Anschlag mit der Tagespost gebracht. Und das ist die Rückseite.«
Die Rückseite war handbeschrieben. Alle beugten sich vor, um die Schrift zu entziffern.
»Munus habe caelum: caelo spectabere sidus«, las Syra vor. Die Kollegen begannen zu flüstern. »Das ist Latein, und wir haben für diese Soko einen Berater bestellt, den Herrn Professor Dr. Granz aus der Altphilologie in Mainz –«
»Aber das ist die Aufschrift auf dem Bild«, platzte Bettina laut heraus, nahm ihr Faltblatt vor und zeigte auf die Schrift. »Das ist genau das, was Bacchus zu Ariadne sagt, du wirst am Himmel als Sternbild zu sehen sein, hier auf dem Schriftband, das steht in dem Buch, das wir suchen!« Erfreut über ihr sonst so unzuverlässiges Gedächtnis blickte sie sich um. Alle starrten sie an. Syras schwarze Augen funkelten gefährlich in ihre Richtung. Härtings Mund wurde zum Strich: Seine Halbtagskraft hatte der Frau vom BKA die Pointe versaut.
»Beherrschen Sie denn die lateinische Sprache, Frau Boll?«, fragte Syra ruhig. Müller duckte sich, vermutlich aus Sympathie.
»Ich hatte es in der Schule«, sagte Bettina kleinlaut. Ihr imponierte, dass die Soko-Leiterin tatsächlich ihren Namen kannte, obwohl sie bei der Vorstellungsrunde nur als »Kollegin vom Kl 1« erwähnt worden war. Nun nahm Syra das Faltblatt, schlug es auf und hielt es dicht vor die Augen. Irgendwer sprang hilfreich zum Lichtschalter und drückte ihn. Syra las. Dann blickte sie wieder Bettina an. Alle blickten Bettina an. Nur Müller nicht, der warf sich plötzlich mutig in Position und starrte dem stummen Unmut entgegen. Bettina hätte ihn küssen mögen.
»Nun«, sagte Syra, »Professor Granz hat diese Zeile
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