Die Herzen aller Mädchen
geschuldet waren. Bettina ertappte sich dabei, wie sie selbst ziemlich laut kicherte.
»Und nicht zuletzt«, fuhr die Soko-Leiterin fort, »schreibt Krampe eine wissenschaftliche Arbeit über unser mysteriöses Manuskript, das zwar angeblich tausend Jahre alt ist, dessen Herkunftsgeschichte aber nach wie vor aus einem bloßen Pappumschlag besteht, und je stärker Krampe die Trommeln rührt, desto mehr Institutionen melden Ansprüche an und umso größere Beachtung wird seine Arbeit finden.« Syras Tonfall wechselte von Ironie zu Bedauern. »Gleichzeitig schrumpft natürlich unsere Chance, den wahren Besitzer zu ermitteln. Denn das Buch ist, wenn überhaupt, als einfacher Psalter erfasst, das ist eine Art Bibel, und die sind in unseren Bibliotheken nicht gerade selten, Leute. Leider führen auch nur wenige umfassende Kataloge. Es fehlen überall die Mittel. Tja, und dann kommt der überaus reiche Sammler Dr. Ritter und kriegt anonym etwas geschickt, das auf fast jedem alten Speicher in ganz Europa gestanden haben könnte. Und sein findiger Bibliothekar lässt sich Expertisen ausstellen und wedelt allen damit vor der Nase herum.«
Syra verschränkte im Halbdunkel missbilligend die Arme und mit ihr taten das ein Dutzend weitere Beamte. Bettina merkte, wie auch sie ablehnend auf dem Stuhl zurücksank.
»Sowieso«, fuhr Syra fort, »ist der Herkunftsnachweis für ein solches Werk, bei allem Vertrauen in Ihre und meine Arbeit, keine Aufgabe für die Polizei, Leute, das ist ein wissenschaftliches Puzzle, Thema für Dissertationen, ein Lebenswerk. Andererseits möchte das Auswärtige Amt die Sache geklärt haben. Die stehen unter Druck, und wir haben den Auftrag, Klarheit zu schaffen. Also müssen wir«, sagte sie trocken, »nach alter Polizistenart die Wirbel und Randerscheinungen dieser unwahrscheinlichen Schenkung beobachten.« Rasch klickte sie sich durch ein paar Seiten ihrer Powerpoint-Präsentation, bis das Bild eines aus mehreren Fenstern rauchenden Hauses erschien. »Und genau so eine Randerscheinung ist jetzt aufgetreten, Leute.«
Bettina beugte sich vor. Sie war überrascht. Sie hatte Kommentare zu Krampes Fernsehauftritt erwartet, zu dem Enthüllungsroman dieser Wahrsagerin, zu irgendwelchen politischen Komplikationen, zu sonst was. Sie hatte, merkte sie, die Angelegenheit unterschätzt, und die Soko und alle beteiligten Kollegen dazu.
»Dies ist das Elternhaus von Gregor Krampe«, erklärte Syra. »In Darmstadt, Peter-Behrens-Weg, zuletzt allein bewohnt von Elisabeth Krampe, der Mutter. In diesem Haus ist am Samstag gegen vierzehn Uhr dreißig eine Bombe explodiert. Der Sprengsatz befand sich in einer Holzkiste im Arbeitszimmer.«
Nun zeigte die Soko-Leiterin in schneller Folge Bilder des teils ausgebrannten Raums und einer verkohlten Kiste. Bettina versuchte, im Geiste die Einrichtung zu rekonstruieren: ein Tisch, der jetzt vom Rauch und Brand geschwärzt, aber immer schon dunkel gewesen war. Das matschige Zeug darauf war verbranntes Papier, Briefe oder Bücher. Ein Stuhl, Tapeten, Vorhänge. Trotz des schlimmen Zustands konnte man erkennen, wie schön der Raum geschnitten war, hoch, groß, mit einem Erker. Und auf einem der Fotos erschien zwischen all dem Schwarz überraschend der weiß gefleckte Kopf einer Katze. Sie war von sehr dunkler Farbe, saß unter dem Schreibtisch und blickte direkt in die Linse des Fotografen, eigentlich waren nur der weiße Fleck und die Reflexe ihrer Augen sichtbar. Auf den nächsten Bildern fehlte die Katze. Dann folgte das Porträt einer energisch aussehenden älteren Frau mit feinen weißen Löckchen und in schwarzer Kleidung.
»Das ist Frau Krampe vor etwa zwei Jahren bei der Beerdigung ihres Mannes.«
Bettina stellte sich vor, wie diese respektable alte Dame den Deckel einer Bombe hob. Es war nicht leicht. Denn Frau Krampe sah harmlos aus, andererseits aber auch nicht dumm. In Bettinas Phantasie wollte sie sich dem Unheil nicht beugen, stand reglos in ihrem noch unversehrten Arbeitszimmer vor der Kiste, beäugte sie wissend und hatte dann Schwierigkeiten mit dem Deckel, der sehr fest aufsaß. Nichts explodierte.
Die Wirklichkeit war anders gewesen. Gregor Krampes Mutter, hörte Bettina nun, lag mit lebensbedrohlichen Verbrennungen an Gesicht, Oberkörper und Händen auf irgendeiner Frankfurter Intensivstation im künstlichen Koma, und man fragte sich, wer die Bombe gebaut und ihr gebracht hatte. Das Wie indessen war bereits ermittelt: Amateurarbeit, aber von einem,
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