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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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zum Eingang war mit Pfeilen ausgewiesen. Bettina fühlte sich, als sei sie zu spät. Das kleine verträumte Mädchen, das immer getrödelt hatte und nun den nächsten Eintrag ins Klassenbuch bekommen würde. Die Schule über dem Platz blickte ihr höhnisch entgegen. Bettina schaute auf ihre Uhr. Sie war nicht zu spät, im Gegenteil. Vermutlich würde sie warten müssen.
    Im Inneren des Gebäudes war es nur wenig wärmer. Kinderbilder hingen herum. Bettina sah sich nach Zeichnungen von Enno um, sie suchte seine Jacke unter denen, die im Flur an den vielen Haken hingen. Als sie an seinem Klassenzimmer vorbeiging, hörte sie eine Jungenstimme, die vielleicht Ennos war. Doch wirklich erkennen konnte sie das nicht. Ob eine leibliche Mutter damit ebenso große Schwierigkeiten hätte? Sie erreichte das Sekretariat. Dort wurde sie einem Stuhl mitten im Durchgang zugewiesen. Und wartete bis zum Klingeln.
    »Sie wissen, weshalb Sie hier sind?«, sagte Direktor Schmoll quer durch den ungeheuerlichen Lärm, der seit dem Pausenzeichen das Gebäude erfüllte, ein gemeinschaftliches Gebrüll aus gut fünfhundert Grundschülerlungen. Er schloss die Tür zu seinem Büro und dämpfte den Ruf nach Freiheit auf erträgliches Maß. Dann setzte er sich auf seinen Schreibtisch, erhöht und direkt vor Bettina, die lässige Lehrer nicht mochte.
    Sie rutschte so weit auf ihrem Stuhl zurück, wie es ging, ohne unhöflich zu wirken. »Wegen Enno«, sagte sie. Eigentlich mochte sie überhaupt keine Lehrer.
    »Ihr Adoptivsohn ist intelligent«, sagte Schmoll wohlwollend. »Das ist er.«
    Bettina lächelte schwach.
    »Er hat Schlimmes durchgemacht«, fuhr Schmoll fort, und Bettina wurde es angst und bange.
    »Aber?«, fragte sie.
    Schmoll lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Es sah unbequem aus. Wie eine Yogaübung auf der Tischkante. Der gespannte Schilfstängel oder so. »Er kommt im Unterricht mit, das tut er«, sagte er hinhaltend. »Er hat sogar so etwas wie Freunde.«
    Bettina stand auf.
    »He!«, sagte Schmoll, dessen Balance nicht standhielt. Er musste sich mit den Händen abfangen. »Wir sind hier nicht bei Kriminellen.«
    Bettina trat zurück und lockerte beschämt ihre Fäuste. Was war denn in sie gefahren? Da war sie einmal als Mama gefordert und machte prompt auf Bulle. Sie schaffte es nicht. Sie war keine richtige Mutter. Und auch keine echte Polizistin, als Halbtagskraft. Sie war nichts. Das Oberhaupt von so etwas wie einer Familie mit so etwas wie einem Sohn, der so etwas wie Freunde besaß. »Wieso sagen Sie das?«, fragte sie und überlegte gleichzeitig, ob sie sich ihren drohenden Unterton nur einbildete. »Wieso sind Ennos Freunde bloß ›so etwas wie‹? Wieso sind sie nicht echt?!«
    Schmoll hatte sich wieder gefangen und betrachtete sie interessiert. »Sie sind doch in Familientherapie, nicht wahr?«
    »Nicht mehr«, gab Bettina zu.
    »Das wäre bestimmt eine Hilfe, das wäre es.« Schmoll verschränkte die Hände vor dem rechten Knie und hing wieder in seinem aufreizenden Gleichgewicht. Er sah ihr direkt in die Augen, und Bettina musste sich zusammennehmen, um ihn nicht einfach anzutippen, damit er umfiel. Dieses Gehampel mit Blickemessen ausgerechnet beim Schuldirektor ihres Sohnes regte sie auf. Rasch setzte sie sich wieder und schaute zu Boden, was Schmoll zweifellos als Sieg verbuchte. »Was«, sagte sie zu ihren Händen, »hat Enno angestellt?«
    »Enno«, sprach Schmoll sanft, »ist eine unabhängige Persönlichkeit, das hat sich schon in den ersten Tagen gezeigt, die er bei uns war, Sie wissen noch, die Sache mit dem Kaugummi …«
    Bettina schwieg. Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie nun Ennos Werdegang seit seiner Einschulung vor anderthalb Jahren rekapitulieren würden. Denn einen Pädagogen mit guten Absichten konnte man nicht abkürzen. Jeder Versuch würde den Vortrag nur ausdehnen wie ein mäanderndes Flussbett, auf doppelte, ja vielfache Breite, den Strom verlangsamen, Sümpfe entstehen lassen, mitsamt dem zugehörigen Getier, Mückenplagen würde es beschwören, giftige Dünste, verdunkelte Sonnen, und doch musste am Ende das Wasser ins Meer gelangen, es war nur eine Frage der Zeit. Am besten ließ man sich also vom Strom treiben und räumte nur hier und da etwas Treibgut aus dem Weg.
    Oder man lief auf einer Sandbank auf: »Enno schlägt eben auch Mädchen«, sagte Schmoll ernst.
    »Er ist ein einziges Mal mit dieser intriganten Alena aus der dritten Klasse zusammengestoßen«, antwortete

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