Die Herzen aller Mädchen
morgens ihre Arbeit begann, beziehungsweise beginnen sollte.
»So«, sagte Ansperger. »Das war’s. Jetzt hast du ein mobiles Büro. Eigentlich ist es ganz einfach.« Er ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken, verschränkte seine hübschen gebräunten Arme und blickte fast verliebt von dem Bildschirm zu Bettina.
Die lächelte etwas schief, weil sie wusste, dass jenes Einfache zu wiederholen sie mehrere verzweifelte Abende kosten würde, und dass Telefonleitung und Internetzugang bei ihr zu Hause völlig anders reagierten als im Büro, und dass sie Ansperger eigentlich mitnehmen müsste, aus diesen und verschiedenen anderen Gründen. Sie wollte nicht weg aus seinem schönen ordentlichen Büro, sie wollte sich ausruhen bei ihm und seiner fröhlichen Art, sie wollte eine Arbeit wie seine, die logisch war und sonst nichts, sie wollte Rätsel, die lösbar waren und sich nicht tief unter die Haut brannten. Einen Moment saß sie nur da und blickte den Kollegen an, der lächelte und sich in seinem Stuhl lümmelte und aussah wie ein Stück Konfekt, und beinahe hätte sie etwas Dummes getan und ihm genau das gesagt. Dann aber wäre es vorbei mit der Ungezwungenheit und dem ausführlichen Support.
»Danke«, sagte sie also nur.
»Ach Süße«, sagte Ansperger.
Und Bettina packte zusammen und ging nach Hause zu ihrer störrischen DSL-Leitung.
Am Nachmittag mussten sie wieder zur Caritas, diesmal sprachen sie über den Dildo. Bettina war es schrecklich peinlich, nicht wegen dem sanften, konturlosen Herrn Hübner, der sowieso nur zuhörte, sondern wegen Enno. Er äußerte sich intuitiv und dafür umso trotziger über den Gebrauch eines Vibrators. »Den steckt man einer Frau unten rein«, behauptete er im Ton tiefster Verachtung. Sie hatten das Ding dabei, aber nicht ausgepackt, dafür war Bettina Hübner dankbar: dass er kein Theater machte.
Enno hingegen schlug blind um sich. »Das weiß doch jeder.« Er sah Bettina an, wurde rot und reckte sein schmales Kinn.
»Das hast du aber nicht gemacht?«, fragte Hübner ernst.
»Ich bin doch kein Spanner«, antwortete Enno wegwerfend.
Bettina fühlte sich furchtbar. Obwohl ihr kleiner Sohn das große Wort führte, war ihr, als ob sie ihn belästigte. Der Fremde störte eben doch, und ihre Hilflosigkeit trieb Enno in die Opposition. Zum Glück war wenigstens Sammy nicht dabei, die wartete bei der neuen Babysitterin.
Hübner sah aus dem Fenster. »Was hast du eigentlich mit dem Dildo gemacht?«, fragte er beiläufig.
»Ach, das war nur Quatsch«, sagte Enno, stand von seinem Platz auf und spähte auf den Schrank, wo verschiedene Pappmasken lagen. »Heute will ich mal das Krokodil ausprobieren.«
»Was für eine Art Quatsch?«, sagte Hübner.
Enno seufzte. »Quatsch halt. Wir wollten es dem Maurice zeigen, der ist so blöd. Wir dachten, er kriegt einen voll krassen Schreck, wenn sein dämlicher Käptn-Sharky-Ranzen wegfliegt. Käptn Sharky ist doch voll was für Babys.«
»Maurice«, sagte Hübner langsam, während Bettina nur entsetzt ihren Sohn anstarrte. Der Junge war ein Ekel, das andere Kinder mobbte.
»Maurice ist doof«, sagte Enno und blickte auf den Schrank.
»Warum?«, fragte Hübner.
»Ach, der mit seiner blöden Schwester.«
»Was ist mit ihr?«, fragte Hübner.
»Die holt ihn von der Schule ab. Er isst zu Hause.« Enno dehnte das »zu Hause« verächtlich, dann fing er an, am Schrank hochzuspringen, um an die Maske zu gelangen.
Hübner ignorierte das. »Und du isst in der Schule.«
Enno blieb stehen und drehte sich um. »Natürlich.«
»Ist das Essen gut?«, fragte Hübner sehr neugierig.
»Na ja«, sagte Enno, dann fiel sein Blick auf Bettina und er fügte großzügig an: »Die Gemüselasagne ist toll. Und der Pudding. Und die Nudeln mit Fisch ess ich auch gern. Eigentlich kocht die Frau Kamal sehr gut. Sie ist ja auch eine Köchin.« Er schaute treuherzig. »Das ist ihr Beruf. Deswegen kocht sie gut. Aber Tinas Essen mag ich auch.«
Hübner lächelte. »Maurice«, sagte er dann.
»Ach der«, sagte Enno. »Der sagt, er hat jetzt einen neuen Papa. Das ist voll dumm. Ich hab ihm gesagt, er kann keinen neuen Papa kriegen, er kann nur einen Stief-Vater kriegen, so wie ich Tina gekriegt habe, sie ist eben meine Stief-Mutter. Ist doch klar. Meine Mama ist im Himmel. Und einen Papa hab ich nicht. Aber wenn Tina heiraten würde, hätte ich einen Stiefvater. So wie Maurice. Aber Maurice hat gesagt, er soll nicht Stief-Vater sagen, sondern Papa, und sein
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