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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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neuer Papa ist auch toll, weil er ein Cabrio hat und Maurice ein Leichtmetallfahrrad für achthundert Euro gekauft hat und weil er ihm alles Käptn-Sharky-Zeug schenkt, was Maurice will, und das ist voll doof, weil Käptn Sharky was für Babys ist.«
    »Käptn Sharky, wie sieht der aus?«, fragte Hübner.
    »Ach, das ist so ’n Babykram«, sagte Enno. Und erreichte mit einem Satz die Krokodilmaske.
     
    Nach der Stunde gab Hübner Enno was zum Malen und ging mit Bettina in eine leeres Nachbarbüro. »Wo ist denn Ennos leiblicher Vater?«, fragte er.
    »Weiß ich nicht«, sagte Bettina.
    »Sie haben überhaupt keinen Kontakt?«
    »Er war gewalttätig«, sagte Bettina. »Wir sind froh, dass wir ihn los sind.«
    Hübner reagierte darauf anders als erwartet. »Wie gewalttätig?« »Er hat meine Schwester misshandelt.«
    »Waren Sie dabei?«, fragte er.
    »Dann wäre der Kerl jetzt tot«, sagte Bettina.
    »Und Sie im Gefängnis«, sagte Hübner gelassen.
    »Wer weiß«, sagte Bettina
    »Wissen Sie, wie er heißt?«, fragte Hübner.
    »Agazio«, sagte Bettina.
    »Und weiter?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wo lebt er?«
    »Vermutlich liegt er längst mit einem Klumpen Beton um die Füße in irgendeinem italienischen See. Der Typ war ein Verbrecher.«
    »Er ist der Vater Ihres Sohns«, sagte Hübner, und sein Gesicht war so harmlos wie je. Er saß auf einem grauen Sessel vor einem unbenutzt aussehenden Schreibtisch, Bettina ihm gegenüber auf einem hölzernen Stuhl, das Zimmer war so leer, dass es fast schmerzte. Die Luft schmeckte nach Staub, und Bettina fragte sich kurz, ob Hübner vielleicht der einzige Angestellte dieser langen stillen Caritas-Niederlassung mit den vielen Türen war, der letzte menschliche Überlebende in einem Flur voller Geisterbüros. »Vielleicht sollten Sie ihn ausfindig machen.«
    »Damit er mich schlägt?«
    »Würden Sie das zulassen?«
    Bettina verschränkte die Arme. »Glauben Sie, so jemand würde sich ändern? Und überhaupt, das hieße ja, meine Schwester war selber daran schuld, dass sie misshandelt wurde. Sie kennen sich mit gewalttätigen Personen wohl überhaupt nicht aus, was?«
    »Ich kenne mich mit Geschichten aus«, sagte Hübner. »Und die von Ennos Vater hört sich an wie ein Märchen.«
    Bettina erhob sich von ihrem Stuhl.
    Hübner blieb locker. »Ich sage ja nicht, laden Sie ihn zum Kaffeekranz mit Ihren Kindern ein, Frau Boll«, winkte er ab. »Ich sage nicht mal: Reden Sie mit ihm. Ich sagte nur: Machen Sie ihn ausfindig. Sie sind doch Polizistin, oder?« Nun schlich sich ein winziges Lächeln in seine Augenwinkel.
    Bettina sank auf ihren Stuhl zurück.
    »Sie können herausfinden, wo er lebt. Und Sie können ihn sich ansehen. Aus der Ferne. Das geht, hab ich recht?«
    »Vielleicht«, brummte Bettina.
    »Enno braucht seinen Vater«, sagte Hübner ernst. »Oder eine bessere Geschichte von ihm. Und Sie haben es ja gehört: Ein Stiefvater ist kein Ersatz.«
     
    Auf der Heimfahrt und während des Abendessens war Bettina so wütend, dass die Kopfschmerzen keine Chance mehr bei ihr hatten: Finden Sie Ennos Vater! Suchen Sie Ihrem gefährdeten Kind, das knapp vor einem Gewaltproblem steht, ein Vorbild, dem es nacheifern kann! Bringen Sie mehr Drama in Ihr Familienleben! Holen Sie Ihrem Sohn seinen Stalker zurück, den Sie mit Mühe und Not losgeworden sind! Tausend Dinge fielen Bettina ein, die sie Hübner hätte sagen sollen. Sie würde die Therapie abbrechen. Auf solche Tipps konnte sie verzichten. Das war ja genau der Grund, weshalb sie diese blöden Therapeuten so hasste: weil ihre Ratschläge niemals unverbindlich waren. Wer Termine ausmachte und hinging, um sich helfen zu lassen, konnte anschließend die Worte des Meisters nicht mehr unbeachtet lassen. Die setzten sich fest, man musste darauf reagieren, und sei es mit einem Wutanfall oder einem schlechten Gewissen. Auf jeden Fall kostete es Energie, und die kam Bettina gerade abhanden. Als die Kinder etwas später endlich im Bett lagen, saß sie eine halbe Stunde lang nur starr auf der Couch und betrachtete einen einzelnen Punkt auf Barbaras alter Italienkarte, einen kleinen Punkt irgendwo vor Neapel, im verblassten Blau des Mittelmeers, ganz weit weg.
    Dann klingelte ihr Handy und Bettina hob nur müde den Kopf und sagte: »Nicht da.«
    Doch es klingelte weiter und weiter, also holte sie es aus ihrer Tasche, ganz langsam, und es klingelte, und sie drückte den grünen Knopf und als Syra bellte: »Frau Boll!«, da stand sie

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