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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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worum genau es ging und was daraus wurde. Uns interessiert sowieso nur, dass er sich damals mehrere Male mit einem Interviewpartner in dieser Bibliothek getroffen hat. Ich war heute dort. Die Räumlichkeiten sind erhalten. Bis vor zwanzig Jahren gab es einen kleinen Handschriftensaal ohne ständige Aufsicht. Der war ideal für konspirative Treffen. Still und einsam. Wer rein wollte, musste nur seinen Ausweis vorlegen. Die Bücher wurden nicht groß geschützt, denn die Bibliothek war schwach frequentiert. Öffentlich, aber klein und praktisch nur Universitätsangehörigen bekannt. Der Bestand ist auch nur selten geprüft worden. Erst 1968 wurde nach einer Inventur Strafanzeige wegen Diebstahls gestellt, weil seit ungewisser Zeit ein kleiner, pergamentgebundener Psalter aus dem dreizehnten Jahrhundert fehlte. Im Archiv der Bibliothek existiert heute noch ein Durchschlag der Anzeige. Ich hab ihn kopiert. Der damalige Bibliothekar hat sich die Mühe gemacht, alle gemeldeten Besucher des Handschriftensaals aufzulisten – für fünf Jahre! Die Liste ist eindrucksvoll. Und raten Sie, welcher Name draufsteht.«
    »Wahnsinn«, sagte Bettina, ohne zu raten. »Wie konnten Sie das herausbekommen? Sie haben die Nadel im Heuhaufen gefunden.«
    »Wir haben unsere Mittel«, sagte Syra.
    »Georg Krampe hat das Buch gestohlen.«
    »Vermutlich.«
    »Und Gregor hat es an sich selbst geschickt.«
    »Beweise sind das aber noch nicht, Frau Boll.«
    »Soll ich ihn darauf ansprechen?«
    »Sonst würde ich es Ihnen nicht erzählen.«
    Der Satz dämpfte Bettinas Begeisterung. Die interessanten Sachen bekam sie vermutlich erst gar nicht gesagt. »Man fragt sich allerdings, was die Bombe sollte«, sagte sie etwas angefressen.
    Syra seufzte. »Glauben Sie immer noch, dass Gregor Krampe nichts damit zu tun hat?«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was er davon hätte.«
    »Seine Mutter kannte das Buch sicher, wenn es so lange in ihrem Haushalt herumlag. Vermutlich wusste sie vom Betrug ihres Sohnes. Vielleicht drohte sie, ihn auffliegen zu lassen.«
    »Das wäre ganz schön fies für eine Mutter. Und sie würde sich selbst mit reinreißen.«
    »Meine Mutter«, sagte Syra in demselben trockenen Ton wie zuvor, »hat mich einmal mit einer gestohlenen Puppe in unseren Spielzeugladen gebracht, und ich musste vor allen Kunden zugeben, was ich getan hatte. Unsere Stadt war sehr klein. Danach wussten alle, dass ich eine Diebin war, und wir sind nie wieder in diesen Laden gegangen, obwohl es das einzige Spielzeuggeschäft weit und breit war.«
    Bettina traute sich nicht zu antworten. Schließlich räusperte sie sich und trat die Flucht nach vorn an: »Aber wenn das Buch wirklich aus dieser römischen Bibliothek stammt, hat nicht Gregor Krampe es gestohlen.«
    »Möglicherweise hat sich Elisabeth erst später zusammengereimt, was geschehen war. Und als ihr Sohn Nutzen aus der Unmoral seines Vaters ziehen wollte, gefiel ihr das nicht.«
    Gegen diese Deutung konnte Bettina wenig vorbringen. »Und was ist mit der Postkarte?«, fragte sie unzufrieden.
    »Die Karte«, erwiderte Syra, »war ja nicht direkt bei der Bombe, Frau Boll. Was da zusammengehört, ist noch die Frage. Aber sie ist in der Tat interessant. Auch wegen dem Bild, das vorne drauf ist. Ostia, das ist praktisch ein Vorort von Rom.«
    »Dann stammt sie vielleicht von der Person, die sich damals mit Georg Krampe in der Bibliothek getroffen hat«, sagte Bettina. »Als Liebesgruß und Souvenir.«
    »Sie ist an Elisabeth Krampe adressiert«, antwortete Syra trocken. »Und in Würzburg abgestempelt.«
    Da hatte Bettina einen Geistesblitz. »Ha!«, rief sie. »Ich wette, sie ist von dieser fränkischen Wahrsagerin.«
     
    * * *
    Lisa träumte. Manchmal waren die Schmerzen jetzt ganz fort, dann galt es, möglichst lange den Meeresgeruch und die Möwenschreie und das Rauschen festzuhalten. Das Ufer dieser nahen See war ihr Ausgangspunkt, hier sollte sie nackt und neu beginnen. Diesmal schaffte sie es, den Atem leichter kommen zu lassen und die Augen, ja, anzuschalten. Schauen konnte man es nicht nennen. Es handelte sich um eine Art Innensehen, ein Erkennen durch die geschlossenen Lider hindurch, ein Filtern schwärzester Erinnerungen, bis sie einen grauen Himmel erkannte, verblasst vom Alter wie eine Postkarte, er wurde heller und blauer und er hatte einen Horizont. Da merkte Lisa, dass sie nicht lag, sondern stand, sie sah Wasser und die Luft darüber, ein stilles Meer unter einem bleiernen Himmel, und

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