Die Herzen aller Mädchen
äußeren Bildrand beschnitten und am inneren neu gefalzt.« Ritter schlug Seiten um und fand zielsicher diejenige mit dem Purpurpaar. Er klappte auf und zu. »Man kann es einfach einschlagen. Dann sieht man gar nichts Verräterisches mehr. Nur einen etwas dickeren Rand außen …«
Gregor stellte sich hinter Bettina, an ihre freie Seite, und griff nach ihrer Hand.
»… und wieder auf. Das Bild selbst ist gänzlich unbeschädigt, es definiert nur die Buchbreite. Und das neue Buch ist einfach ein bisschen kleiner. Wirklich brillant gemacht. Von rechts aus erst die Miniatur, dann ein Knick, links daneben die alte Falz mit den alten Bindungslöchern, dann eine Seite mit altem Text, aber den lassen wir dem Herrn Krampe, nicht wahr?« Ritter blickte schelmisch von Gregor zu Bettina. »Dann die eigentliche, neue Falz mit der neuen Bindung, natürlich nur eine Lage, ist ja klar, und ein kleiner Pergamentstreifen, der übersteht. Den sieht man aber nicht, weil die Bildseite einfach drübergeklappt wird.«
Dr. Ritter machte es vor. Auf und zu, auf und wieder zu, Gregor wurde ganz schwindelig von dem Wechsel aus nacktem Sex und engem Text und vom Geruch dieser roten Haare sowieso. Bei jedem Aufklappen schien ihm Bettina näher und der Wink aus dem Buch deutlicher, und er dachte fast gar nicht mehr daran, dass er sowieso vorgehabt hatte, in dieser Nacht eine Polizistin abzuschleppen.
»Stopp«, sagte Bettina plötzlich, und sofort ließ Krampe ihre Hand los. Dr. Ritter dagegen klappte die Purpurseite, die er gerade zugeschlagen hatte, wieder auf, dabei hatte Bettina es genau umgekehrt gewollt: Hand behalten und Ritter stoppen.
Letzteres aber war nicht einfach. Der Hausherr ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »… das Werk ist definitiv nicht für die Nutzung durch den Klerus geeignet. Aber es muss trotzdem irgendwie in ein Kloster gelangt sein, wo es dann zur Weiterverarbeitung freigegeben wurde, nur dass einer von den Mönchen nicht ganz so keusch war, wie die Ordensregel vorschrieb, und dafür eine gute Portion Lebensart besaß.« Dr. Ritter tätschelte Bettinas Arm, was sie reizte, genau wie sein verschwörerisches Lächeln. Lebensart, hieß das, wir beide wissen, was das ist.
»Klar, nackte Frauen gehen immer«, sagte sie nüchtern, worauf Ritter zumindest ihren Arm in Frieden ließ. »Aber da! Haben Sie das gesehen? Da stand etwas!« Sie klappte die Seite wieder zu.
»Psalme«, schnaubte Ritter. »Eine wirkungsvolle Tarnung. Die Gefahr, dass jemand das lesen will, ist nicht groß.«
»Nein, da am Rand.« Bettina beugte sich tiefer über das Buch. Dort stand etwas, kaum sichtbar, in dünnen Bleistiftlettern geschrieben.
»Sie meint die zeitgenössischen Kommentare«, sagte Krampe in ihrem Rücken zu seinem Chef.
»Ach das.« Nun klang Ritters Stimme abweisend. »Das ist nichts.«
»Das ist deutsch!«
»Zeitenmüll«, sagte Ritter wegwerfend. »Schmutz.« Schon schwebte seine Hand wieder über der Seite. »Schauen Sie sich lieber die Zirkusszene an, die ist köstlich.«
Bettina legte ihre Hand auf die blasse, warme von Dr. Ritter. »Nein, bitte«, sagte sie lächelnd.
Er blätterte trotzdem weiter. Doch neben dem Psalm, den er aufschlug, stand wieder etwas. Jetzt, da sie wusste, wonach sie schauen musste, sah Bettina es sofort. »Da!«
»Das ist banales Zeug«, erklärte Ritter ungehalten. »Von Schmierfinken ohne Respekt. Wie geht es dir, mir geht es gut, lass uns vögeln. Das werden wir ignorieren. – Sehen Sie den Zirkus.«
Er klappte die Seite um. Ein wunderbares Bild sprang ihnen entgegen, geschmackvoll, leuchtend farbig und herrlich gemalt. Doch Bettina hatte nicht den Nerv, auch das noch zu bewundern. »Ich möchte den Kommentar sehen«, sagte sie bestimmt.
Dr. Ritter sah sie entgeistert von der Seite an.
»Ich hab Sie gewarnt: Sie ist vom BKA«, flüsterte Krampe in Theaterlautstärke hinter ihr seinem Chef zu. Es klang amüsiert.
»Tja«, sagte Ritter beleidigt. »Bitte.«
Er verschränkte die Arme, was vermutlich der Mehrheit aller Menschen in seiner Umgebung kalten Angstschweiß auf die Stirn getrieben hätte. Bettina jedoch beugte sich nach vorn und las. Endlich fand sie in diesem Buch etwas, das sie sofort entziffern konnte. In verblasster, runder, sehr mädchenhafter Schrift stand auf dem breiten freien Rand neben den Psalmen: Neues Angebot akzeptiert. Aber, wie gesagt, Schwierigkeiten beim Beschaffen. V. braucht mehr Zeit. Geduld. Neues Treffen frühestens Montag.
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