Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
hatte sie die Schnüre zerplatzter Ballons geschlungen.
Weil ihr Körper völlig ausgetrocknet war, befürchteten die Ärzte einen bleibenden Gehirnschaden. »Sie ist eine Kämpfernatur«, betonte Joel in einem fort, als würde allein schon die Wiederholung dieser Worte seinem Liebling helfen, möglichst bald zu genesen. »Ja, sie wird es schaffen, denn sie kann kämpfen.« Stundenlang saß er neben Susannahs Bett, hielt ihre Hand und versuchte ihr Kraft zu geben.
Die Kidnapper wurden von einem ehemaligen Zellengenossen verpfiffen. Eine knappe Woche nach Susannahs Rettung gingen sie der Polizei bei einer Straßensperre ins Netz. Der Ballonmann zückte eine Waffe und starb, von der Kugel eines Beamten getroffen. Wenig später erhängte sich sein
Komplize in der Untersuchungshaft mit den verknoteten Streifen eines zerrissenen Bettlakens.
Zu Joels Freude und Kays Erleichterung erholte sich Susannah allmählich. Ihre Seele heilte nicht so schnell. In ihrem jungen Leben hatte sie zu viel erduldet, zu schreckliche Kämpfe ausgefochten. Bevor sie wieder sprechen konnte, verstrichen mehrere Wochen. Und dann dauerte es einen ganzen Monat, bis Joel ihr ein Lächeln entlockte. Wäre sie aus dem Penthouse ihrer Großmutter gekidnappt worden, hätte sie vielleicht keinen so nachhaltigen Schock erlitten. Aber nachdem sie sich endlich sicher genug gefühlt hatte, um die traumatische Vergangenheit zu überwinden, würde die Entführung unauslöschliche Spuren in ihrem Innern hinterlassen.
Zehn Jahre lang wurde sie jeden Morgen in einer kugelsicheren Limousine von Falcon Hill zu einer der exklusivsten Mädchenschulen von San Francisco gefahren. Sie wuchs zu einem großen, etwas ungelenken Teenager heran, und ihre Mitschülerinnen respektierten sie, weil sie ihnen häufig aus der Klemme half und niemals schlecht über sie sprach. Doch sie war zu reserviert, um Freundschaften zu schließen, und so ernst, dass sie die Mädchen manchmal unangenehm an ihre Mütter erinnerte.
Mit ihrer ruhigen Kompetenz und der Fähigkeit, stets ihre Fassung zu bewahren, irritierte sie Kay. Aber da Susannah ihr viele Pflichten abnahm, entwickelte sie eine gewisse distanzierte Zuneigung zu ihrer älteren Tochter. Trotzdem verstand sie nicht, warum Joel das Adoptivkind seinem eigenen Fleisch und Blut vorzog. Je öfter er Paige tadelte, desto rebellischer benahm sie sich – zum Leidwesen ihrer Mutter. Hätte Susannah nicht als Schutzschild fungiert, wäre ihre schöne jüngere Halbschwester unentwegt dem väterlichen Zorn ausgeliefert gewesen.
Nach ihrem siebzehnten Geburtstag wurde Susannah für
Joel so unentbehrlich wie einer seiner Vizepräsidenten. Sie kümmerte sich um seine gesellschaftlichen Termine, beaufsichtigte das Hauspersonal und war eine hervorragende Gastgeberin. Niemals beging sie den Fehler, jemanden mit dem falschen Namen zu begrüßen, was ihrer Mutter ständig passierte. Seit Susannah den Haushalt führte, blieben ihrem Adoptivvater die Katastrophen erspart, die seine Frau andauernd heraufbeschworen hatte.
Im gleichen Maß wie sein Imperium wuchs auch seine Arroganz. Nicht einmal Susannah entging seiner kalten Missbilligung, wenn ihn irgendetwas ärgerte. Das spornte sie zu noch intensiveren Bemühungen an. Zu ihrer Freude erfüllte sie ihn mit Stolz, weil sie die erfolgreichste Debütantin war, die San Francisco seit Jahren gesehen hatte, zumindest in den Augen der Klatschtanten, die alle wichtigen gesellschaftlichen Ereignisse arrangierten. Also würden die alten Traditionen doch nicht dahinschwinden, stellten sie übereinstimmend fest, wenn eine junge Frau wie Susannah Faulconer die Fackel von Sitte und Anstand hochhielt.
Sie liebte Mathematik, und ihre ausgezeichneten Zeugnisse hätten ihr ein Studium an einer der besten amerikanischen Universitäten ermöglicht. Stattdessen besuchte sie ein College in der Nähe von Falcon Hill, damit sie ihrem Vater auch weiterhin den Haushalt führen konnte. Von Anfang an ließen ihre akademischen Leistungen zu wünschen übrig, weil sie zu viele Vorlesungen und Seminare versäumte, um mit Joel Geschäftsreisen zu unternehmen. Außerdem gab es zu Hause immer mehr zu tun. Aber sie schuldete ihrem Adoptivvater einfach alles , und seine liebevolle Anerkennung entschädigte sie für den Entschluss, ihre vagen Träume von einem unabhängigen Leben zu vergessen.
Mit zwanzig verliebte sie sich in einen zweiunddreißigjährigen Investmentanalysten, und sie begannen, Heiratspläne zu schmieden. In
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