Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
Ferne wippten die Ballons, bunte Punkte vor dem Sommerhimmel. Fröhlich lachte sie über das schöne Bild. Wie wundervoll, ein Kind zu sein und ungehindert eine schmale Straße entlangzulaufen ... Wenn sie auch zu jung war, um dies alles in Worte zu fassen – die Last der Vergangenheit bedrückte sie nicht mehr, und sie fühlte sich glücklich, sicher und unbeschwert.
Plötzlich sprang ein fremder Mann aus einer Platanengruppe und packte Susannah. Eisige Angst schnürte ihr die Kehle zu. Nur mühsam würgte sie einen Schreckensschrei hervor, als sich harte Finger in ihre Arme gruben. Er hatte eine große, fleischige Nase, und er roch abscheulich. Verzweifelt versuchte sie, nach ihrem Vater zu rufen. Aber ehe sie Atem holen konnte, erschien jemand anderer an ihrer Seite – der Ballonmann – und hielt ihr den Mund zu. Kurz bevor er eine Decke über ihren Kopf warf, schleuderte er seine Clownsmaske beiseite, und sie sah sein Gesicht – schmal, listig und bösartig wie der Fuchskopf.
Hastig hoben sie ihre Gefangene auf die Ladefläche eines Lieferwagens. Einer trat nach ihrer Schulter und befahl ihr, still zu sein. Beim Aufprall der schweren Decke hatte sich eine Cockerspaniel-Spange gelöst und ein Büschel ihrer feinen Haare ausgerissen. Um nicht zu schreien, biss sie auf ihre Lippen. Unter der Decke war es heiß und stickig, und in ihrer verkrampften Lage stand Susannah Höllenqualen aus. Aber sie verlor nicht wegen der Schmerzen, sondern vor lauter Angst die Besinnung.
Stunden später wurde sie von der holprigen Fahrt des Lieferwagens geweckt. Sie schmeckte Blut im Mund und ahnte, sie würde sterben. Trotzdem gab sie keinen Laut von sich. Das Vehikel hielt ruckartig, und sie begann am ganzen Körper zu zittern. Instinktiv schützte sie alle lebenswichtigen Organe, indem sie sich zusammenkrümmte. Wie sterbende Tiere quietschten die Türangeln der Heckklappe, als sie geöffnet wurde. Die Decke wurde weggezogen, und Susannah schloss die Augen – zu jung, um einem gefürchteten Schicksal tapfer entgegenzublicken. Die Männer schleiften sie von der Ladefläche, kalte Nachtluft wehte ihr ins Gesicht. Zögernd hob sie die Lider und starrte hoffnungslos auf eine flache Wüstenlandschaft. Hier war es fast so finster wie im Schrank ihrer Großmutter. Nur wenige bleiche Sterne und die trübe Innenbeleuchtung des Lieferwagens erhellten das Dunkel.
Der Mann mit dem Fuchsgesicht hielt sie fest. Während er sie zu einer Holzhütte zerrte, erwachte ihr Überlebenswille, und sie versuchte, sich zu befreien.
Wiederholt schrie sie. Doch die Wüstenleere verschluckte die Kinderstimme, als wäre der Hilferuf das Flüstern verwehter Sandkörner. Der Kerl mit der fleischigen Nase öffnete das Vorhängeschloss an der Hüttentür, und der andere stieß Susannah über die Schwelle. Drinnen roch es nach Staub und Rost und Öl. Keiner der beiden sprach. Nur ihr eigenes Wimmern durchbrach die Stille. Wie einem Hund schlangen sie ihr eine schwere Kette um den Hals und befestigten das andere Ende an der Wand. Kurz bevor sie allein gelassen wurde, warf der Fuchsmann die Ballons in die Hütte. Er hatte gelogen. Am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft zerplatzten sie alle in der heißen Luft.
Landesweit veröffentlichten sämtliche Zeitungen Reportagen über die Entführung der kleinen Susannah Faulconer. Die Polizei fand eine Lösegeldforderung im Postkasten, die
eine Million Dollar betrug. Entnervt flüchtete Kay mit Paige in ihr Schlafzimmer und wagte sich nicht in die Nähe der Fenster, obwohl die Vorhänge zugezogen waren. Joel verlor beinahe den Verstand in seiner Sorge um die ernsthafte kleine Adoptivtochter, die er so lieb gewonnen hatte.
Während er rastlos die Räume von Falcon Hill durchquerte, fragte er sich, wie so etwas Schreckliches geschehen konnte. Er war ein einflussreicher Mann. Was hatte er falsch gemacht? Susannah bedeutete ihm mehr als sonst jemand auf der Welt. Aber offensichtlich reichte seine Macht nicht aus, und er war nicht wachsam genug gewesen, um sie zu schützen.
Am dritten Tag nach dem Kidnapping erhielten die Polizeibeamten einen anonymen Hinweis, der sie zu einer Hütte am Rand der Mojave-Wüste führte. Darin fanden sie Susannah, an die Wand gekettet. Zusammengesunken kauerte sie in ihrem schmutzigen gelben Sommerkleid am Boden, zu schwach, um den Kopf zu heben oder zu erkennen, dass keine Feinde, sondern Freunde zu ihr kamen. Schürfwunden übersäten ihre Arme und Beine. Um ihre staubigen Finger
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