Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
einer Stunde startet eine British-Airways-Maschine nach Heathrow. Ich habe Plätze für uns gebucht. Von London aus geht’s nach Athen.«
»Athen?«, wiederholte Susannah tonlos. »Unmöglich, ich kann nicht nach Griechenland fliegen – ich habe einen Job.«
»Den wirst du nach ein paar Wochen Urlaub nicht verlieren.
Ich habe ein Haus auf Naxos.« Zum ersten Mal zögerte Paige. »Dort ist es wunderschön, die Sonne heiß, alles weiß und sauber ...« Plötzlich zog sie einen Schmollmund, als wäre es ihr egal, ob Susannah das Angebot annehmen würde oder nicht.
Seufzend berührte Susannah ihre schmerzende Wange. »Glaub mir, ich kann nicht weg. Immerhin bin ich mitverantwortlich für SysVal.« Noch während sie die Worte hervorzwang, konnte sie sich nicht vorstellen, am Montag zu arbeiten – und Sam wiederzusehen.
Paige starrte blicklos vor sich hin und zupfte an einer seidenen, mit Perlen besetzten Blume am Rock ihres Abendkleids. »Da habe ich diese Katzen. Die sind wahnsinnig albern. Wirklich. Kein Stammbaum oder so was. Aber ich will sie dir zeigen.«
Aus ihrer Stimme klang eine seltsame Mischung von Kampflust und Sehnsucht heraus. Unentwegt spielte sie mit den Perlen auf ihrem Rock. Susannah versuchte zu begreifen, was mit ihr geschah, doch die Seelenqualen benebelten ihr Gehirn. Und plötzlich fand sie es sehr vernünftig, um die halbe Welt zu reisen und Paiges Katzen zu begutachten. Wenigstens musste sie am Montag nicht in die Firma gehen.
Wie von einer Riesenfaust hinabgeschleudert, lagen die felsigen Kykladeninseln auf dem türkisblauen Wasser der Ägäis verstreut. Der Geburtsort antiker Mythen und Legenden, war die Inselgruppe ein Mekka für alle Liebhaber des griechischen Altertums. Angeblich war der Geist des Narkissos auf Mykonos zu neuem Leben erweckt worden, Tyra hielt man für den verlorenen Kontinent Atlantis. Nach Naxos war Ariadne geflohen, nachdem sie Theseus aus dem Labyrinth ihres Vaters, König Minos, gerettet hatte.
Schon mehrmals hatte Susannah griechische Inseln besucht, war aber noch nie auf Naxos gewesen. Während der
verbeulte Jeep vom staubigen Rollfeld landeinwärts fuhr, hing eine weiß glühende Sonne am ausgebleichten Himmel. Die beiden Schwestern hatten das Touristenzentrum Chora mit seinen Diskotheken und Coca-Cola-Schildern weit hinter sich gelassen. Nun durchquerten sie das Herz der Insel. Nur vage nahm Susannah die atemberaubenden Kontraste ringsum wahr – die nackte Mondlandschaft felsiger Hügel, deren Silhouetten sich vom leuchtenden Blaugrün des Meeres abhoben. Zwischen terrassenförmigen Weingärten und Olivenhainen hockten gedrungene Windmühlen. Unheilvoll knirschten die Gänge des alten Jeeps auf den steilen gewundenen Bergstraßen. An manchen Stellen waren sie so schmal, dass der Fahrer manchmal warten musste, um einen Esel vorbeizulassen. Seite an Seite hätten das Tier und das Fahrzeug keinen Platz gefunden.
Susannahs Augen brannten wie Schmirgelpapier auf zersplittertem Holz. Vor Erschöpfung schmerzte ihr ganzer Körper. Es schien ihr, als ob die Reise schon eine halbe Ewigkeit dauerte. Sie wusste nicht mehr, welcher Tag heute war. Und sie erinnerte sich nicht, warum sie dieser endlosen Tour zugestimmt hatte.
Schweigend saß Paige neben ihr. Das grelle Licht der späten Nachmittagssonne verwandelte ihr zerzaustes Haar in stumpfes Silber. In ihrem zerknitterten schmutzigen Abendkleid sah sie schön und verlebt aus, wie eine heruntergekommene Kokotte, aus einem Fitzgerald-Roman übrig geblieben. Um alles hatte sie sich gekümmert – Reisepässe und Tickets, die Verzögerung in Heathrow, die komplizierten Arrangements des Weiterflugs von London nach Naxos – um all die Einzelheiten einer langwierigen Reise, lauter Dinge, die ihre Schwester normalerweise so fachkundig erledigte. Und die ganze Zeit hatte Susannah kein einziges Wort mit ihr gesprochen.
Erst am Abend erreichten sie den Bungalow auf der Ostseite
der Insel. Im Halbschlaf stolperte Susannah in das Zimmer, das Paige ihr zeigte, hörte das Rauschen des Meeres, roch den sauberen Lavendelduft ihrer Laken und schlief sofort ein. Als sie am nächsten Vormittag erwachte, sickerten Sonnenstrahlen durch geschlossene Jalousien und warfen funkelnde Bindestriche auf weiße Stuckwände. Auf dem Weg ins winzige Bad fühlte sich ihr Körper schwer und wund an. Sie duschte und schlüpfte dann in Shorts aus gestreiftem Leinen und ein hellblaues Top mit Nackenband. Beides hatte sie am Fußende ihres
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