Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
Betts gefunden.
Unsicher betrat sie den rustikalen Hauptraum des Bungalows, eine Wohnküche, wo ihr das blendende Sonnenlicht voll ins Gesicht schien. Ein stechender Schmerz durchdrang ihre Schläfe. Sie ging zum offenen Fenster und stellte fest, wie bedrohlich das weiße Häuschen auf einem kahlen Steilhang stand, der zum Meer hin abfiel. Trotz mehrerer Ferienwochen früher einmal in der Ägäis hatte sie die juwelenfarbenen Wassertiefen vergessen. Wie ein bodenloses Becken voller azurfarbener Tränen breitete sich der Ozean aus.
Wieder zur Küche gewandt, versuchte sie der schlichten Umgebung ein Gefühl inneren Friedens zu entlocken. Auf dem blank gescheuerten Holztisch stand eine Keramikschüssel mit Pfirsichen, auf einem Fensterbrett trank ein Geranientopf den Sonnenschein. Die Fensterrahmen, die Läden und die Tür waren im gleichen Himmelblau gestrichen wie die Ägäis und die dicken Stuckmauern erweckten den Eindruck, sie wären eben erst getüncht worden. War sie in eine Welt geraten, wo nur drei Farben existierten? Das dumpfe Graubraun des kahlen Berghangs, das grelle Weiß des Stucks und sowohl das Blau des Himmels als auch das üppige Azurblau des Meeres, der Fensterläden und der Türe ... Eine rundliche Tigerkatze tappte über den Fliesenboden und rieb sich an ihren Fußknöcheln.
»Darf ich dir Rudy vorstellen?«, fragte Paige und kam durch die Außentür ins Zimmer. »Misha hält gerade auf der Terrasse ein Schläfchen.«
Zu einem ausgebleichten Wickel-Top trug sie abgeschnittene Jeans, so fadenscheinig, dass an einigen Stellen die Haut durchschimmerte. Sie war barfuß und völlig ungeschminkt. Ihr Haar hatte sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengeschlungen. Trotzdem war sie bildschön.
Unglaublich, dachte Susannah. Nun hatte sie sich doch tatsächlich in eine Position gebracht, in der sie von ihrer Schwester abhängig war. Sie musste weg von hier. So bald wie möglich.
»Du siehst beschissen aus«, meinte Paige, nahm ein blauweiß gestreiftes Geschirrtuch von einem Haken neben der steinernen Spüle und benutzte es, um einen duftenden Brotlaib aus dem Backofen zu nehmen. »Geh auf die Terrasse und leiste Misha Gesellschaft. Der Tisch ist gedeckt, das Frühstück fast fertig.«
»Darum hättest du dich nicht bemühen sollen«, erwiderte Susannah kühl. »Ich habe einen Fehler gemacht. Natürlich muss ich sofort zurückfliegen.«
Paige stellte einen beschlagenen Krug mit Fruchtsaft und zwei blaue Glaskelche auf ein Tablett. »Trag das raus. In ein paar Minuten komme ich nach.«
Vorerst war es einfacher zu gehorchen, statt zu streiten. Susannah betrat die Terrasse, die mit glatten braunen Kieseln gepflastert war. Blinzelnd wartete sie, bis sich ihre Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, an den überwältigenden Anblick des Meeres und des Himmels. Die netzartigen Zweige mehrerer Jasminbäume am anderen Ende der Terrasse schützten einen Tisch aus altem Olivenholz, der mit handgewebten Sets, Keramiktellern und schlichtem Besteck gedeckt war, vor der Hitze. Zu beiden Seiten standen hölzerne Stühle, dicke blaue Kissen lagen auf Sitzflächen
aus Schilfgeflecht. Blumen quollen aus runden Tontöpfen. Und ein alter steinerner Löwenkopf spendete einem schlafenden Kater ein bisschen Schatten.
Als Susannah das Tablett auf den Tisch stellte, hob der Kater den Kopf. Dann streckte er sich gähnend und schlief wieder ein. Paige servierte das Frühstück – Kaffeetassen, weich gekochte Eier in ihren gefleckten braunen Schalen, eine Majolika-Platte voller Melonenspalten, wie Sonnenstrahlen angeordnet. Nachdem sie sich gesetzt hatte, schnitt sie das Brot, das sie soeben gebacken hatte, in dicke Scheiben und bestrich eine mit Butter.
Die hellgelbe Butter begann zu winzigen bernsteinfarbenen Pfützen zu zerschmelzen, als sie das Brot auf den Teller ihrer Schwester legte.
»Tut mir Leid.« Susannah schüttelte den Kopf. »Aber ich habe wirklich keinen Appetit.«
»Versuch’s wenigstens.«
Susannah erinnerte sich nicht, wann sie zuletzt gegessen hatte – an Bord des Flugzeugs sicher nicht. Und auf der Party auch nicht. Als ihr warmer, frischer Hefegeruch in die Nase stieg, knurrte ihr Magen. Sie ergriff das Brot und biss hinein. Immerhin lenkte sie die schlichte Tätigkeit ihrer Kaumuskeln vorübergehend von dem Seelenschmerz ab, der nicht verebben wollte. Sie nippte an frisch gepresstem Orangensaft und verspeiste eine halbe Melonenspalte. Dann rebellierte ihr Magen. Eine Kaffeetasse
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