Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
berichtete Kaspar nachdenklich. “Ich bin auf dem Weg hierher dort vorbeigekommen. Es ist gleichzeitig eine Kutschenstation. Sie haben wahrscheinlich Zimmer für Reisende.”
“Dort sitzen die Leute ebenso fest wie wir hier”, bemerkte Sylvie. “Die Räume werden alle belegt sein.”
“Nicht unbedingt.” Kaspar schüttelte den Kopf. “Ich kann versuchen, mit dem Besitzer etwas auszuhandeln.”
“Wir wollen nicht all unser Geld schon hier ausgeben, schließlich sind wir noch ganz am Anfang unserer Reise”, bremste Camille ihn. “Wir wissen nicht, wo wir die Juwelen gefahrlos verkaufen können. Oder hatte einer von euch Zeit, es noch vor unserer Flucht herauszufinden?”
“Ich habe nicht vor, die Leute im Freudenhaus mit Geld zu bezahlen”, erklärte Kaspar. “Ihr wisst, ich habe spezielle Fähigkeiten, Madame. Es wäre eine Schande, sie nicht einzusetzen, wenn sie sich als nützlich erweisen.”
Der Gedanke, dass die kleine Gruppe sich schon wieder trennen sollte, gefiel Camille nicht, dennoch schickte sie Kaspar los, um mit dem Besitzer des Freudenhauses zu verhandeln, während Sylvie, wieder als Junge verkleidet, die Rechnung für den angeblich betrunkenen Schulmeister bezahlte.
Bereits eine Stunde später kam Kaspar mit vier vergoldeten Spielsteinen zurück. “Es ist allgemein bekannt, dass dort die allergrößte Diskretion herrscht”, versicherte er seiner Herrin. Da sie ohnehin keine Alternative hatte, tat Camille ihr Bestes, ruhig zu bleiben, während Sylvie die Satteltaschen packte und Henri die Pferde vorbereitete. Sie hoffte, das Bordell würde nur wenig Ähnlichkeit mit dem entsprechenden Etablissement des Herzogs in den Mauern des Palasts haben.
Innerhalb kurzer Zeit erreichte die kleine Gruppe ein Freudenhaus, das deutlich größer war als das im Herzogtum. Camille hatte erwartet, ein schlichtes, stabiles Gebäude vorzufinden, das Ähnlichkeit mit dem Gasthaus hatte. Doch hier wurde offensichtlich Wert darauf gelegt, die Reisenden mit mehr als den Annehmlichkeiten, die die Dirnen boten, anzulocken. Außerdem, fiel ihr ein, würden die Steuern an diesem Ort niedriger sein als im Umfeld des Palasts. Was sie wiederum daran erinnerte, dass ein Etablissement dieses Ranges nur gut ausgebildete und hoch bezahlte Professionelle beschäftigte. Sie hatte miterlebt, wie die Lizenzen für Bordelle vom Gericht geprüft worden waren, und einmal hatte sie in einem Fall urteilen müssen, bei dem es um eine Gruppe Dirnen ging, die in fernen Ländern besondere Fertigkeiten erlernt hatten und nun zusätzliche Bezahlung dafür verlangten, um so für die investierte Zeit und die Reisekosten entschädigt zu werden. Sie hatte ein Urteil zugunsten der Frauen gefällt. Das Freudenhaus, wo sie arbeiteten, hatte seinen Gewinn mehr als verdoppelt, nachdem sich herumgesprochen hatte, welch auserlesene Dienste dort angeboten wurden. Während sie an diesen Fall zurückdachte, fragte sich Camille, was in der Zwischenzeit aus den Dirnen geworden war.
An der Tür des Bordells wurden sie von einer Frau begrüßt. Sie war groß und gertenschlank und in pechschwarzen Samt gekleidet, der ihre blasse Haut und die langen weizenfarbenen Locken hervorhob. Die Art und Weise, wie ihre schweren Röcke über den polierten Marmorboden glitten und die mit kleinen Glaskristallen geschmückten Ärmelaufschläge elegant über ihre Handgelenke fielen, deuteten auf einen hervorragenden Schneider hin. Hätte Camille sie in einer anderen Umgebung gesehen, hätte sie sie nie für eine Prostituierte gehalten. Allerdings hatte sie auch noch nicht viele Dirnen gesehen. Ihr Vater und Michel pflegten sich ihre Konkubinen nicht in Freudenhäusern zu beschaffen. Oft ging es um eine Schuld gegenüber dem Herzog, eine Schuld, die niemals zurückgezahlt werden konnte. Die Loyalität der herzoglichen Konkubinen war auf diese Weise durch etwas gesichert, das weit über die Bezahlung mit Gold hinausging.
Die Frau führte sie durch eine prächtige Eingangshalle zu einem Treppenaufgang. Zwei muskulöse junge Männer nahmen ihnen ihre Taschen ab und trugen sie fort. Das geschah mit derselben gelassenen Tüchtigkeit, wie sie die Diener in einem aristokratischen Haus besaßen – wenn auch ihre offenbar schon mehrmals gebrochenen Nasen und die narbigen Gesichter über einer herrschaftlichen Livree fehl am Platz gewirkt hätten.
Im mittleren Teil des ersten Stocks, den sie gleich darauf über eine Treppe erreichten, schienen vor allem Zimmer zu liegen,
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