Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
Hohe Maien. Dazu richten wir am Abend zuvor auf den Festwiesen die hohen Maibäume auf. Deren unten kahl geschlagenen Stämme umwinden wir von unten nach oben mit frischgrünen Girlanden, wobei wir die oberen Enden hoch droben in die mit Frühlingsblüten bestickten Baumkronen einmünden lassen. Anschließend müssen wir allerdings die Festwiesen vorab verlassen. Denn nun erscheinen in ihren weißen Gewändern und mit hochvollen Karren unsere weisen Kräuterhexen, und die bauen dann ihre Walpurgisberge auf, mit all ihren das ganze Jahr über dafür gesammelten Zweigen, Kräutern, Beeren und Blüten, unter die sie ätherische Duft- und bunte Zauberpulver mischen. Ein Aufbau, den nur sie beherrschen, und bei dem sie sich niemals zuschauen lassen.
Erst wenn sich der Vollmond seinem höchsten Stand am Nachthimmel nähert, lassen sie uns zu ihren Wunderwerken heran. Und dann stecken sie sie in Brand. - 0 o o h ! und a a a h ! , bestaunen wir nun die Walpurgisfeuer mit ihrem so geheimnisvoll wechselnden Farbenspiel. Mal flammt das Feuer goldgelb auf, dann leuchtet es in frischem Grün, das wenig später in ein stilles Blau und anschließend womöglich in ein tiefes, warmes Rot übergeht. Wir stehen nur da und staunen. Gleichzeitig verströmen die Feuer aber solch belebende Düfte, dass wir bald doch nicht mehr stehen bleiben können, es zuckt uns in den Gliedern, wir beginnen zu tanzen. Jung und Alt, alle umtanzen wir singend die Zauberfeuer und Maibäume.
Doch das Walpurgisfest wird ja weniger für uns Menschen als für die Pflanzenalben veranstaltet, und die kommen auch nach und nach hoch gehuscht. Einige, die Schüchternen, lugen vorab nur ein Stück aus der Erde, andere wagen sich etwas höher, klammern sich aber noch an ihren Blumen oder Sträuchern fest, doch viele winden sich sofort an den Maibaumgirlanden hoch bis in die geschmückten Baumwipfel. Zunächst blicken sie fragend umher: ‚Ei, was ist das für ein Leuchten hier?’ ‚Und wie das riecht, ätherisch, wie bei uns unten.’ ‚Ich guck’s mir genauer an. ‚Ich komme mit.’
Lange dauert es nie, bis alle beschwingt in Reigen über unseren Köpfen schweben und mit ihren flötenden und rauschenden Ätherstimmen die Luft mit Maigesängen erfüllen. Bezaubernd sind diese Albentänze, manche auch ausgesprochen burlesk. Einige Reigen erinnern an herumschwirrende Libellen, andere an hin- und herhopsende Springdrosseln, an manchen Stellen sieht man nur einen winzigen Ringelreihen aufblitzender Lichtpunkte, und über alledem, in der Höhe der Maibaumspitzen, gleiten stets in weiten Bögen die mächtigen Baumfaune durch die Luft. Schade nur, dass nicht aller Menschen Sinne fein genug sind, um diese Tanzvorstellung verfolgen zu können.
Dieses Fest, das Auftauchen der Pflanzengeister aus dem Erdreich, liegt dem eingangs geschilderten Totentag im Zyklus der Naturfeiern genau gegenüber. Also sechs Monde später. Der zweite Halbkreis schließt sich dann schneller. Als nächstes großes Fest erwarten wir Paintekuste, Pfingest. Dessen Riten verlaufen zwar ähnlich wie die österlichen, doch weit andächtiger, da das Paintekusteheil rein spirituell ist.
Danach naht auch schon der Sommer, und klopft er endlich an unsere Türen, dann feiern wir das ausgelassenste aller Feste, die Sommersonnenwende, auch Mittsommer genannt. Dabei lädt uns die Sonne, ehe sie wieder ihren Abwärtslauf antritt, nochmal tüchtig mit Lebensenergie auf. Kein Wunder, dass dieses Fest Übermut in uns entfacht, denn wir empfangen in jenen Stunden eine Kraft, die uns noch wochenlang aktiviert.
Wie jedes Jahr vergeht uns der Sommer dann viel zu schnell. Kaum haben wir alles ausgekostet, was uns der verwöhnende Sommer bietet, entdecken wir plötzlich die ersten gelben Blätter an den Bäumen. Auch steht die Sonne nicht mehr so hoch am Himmel, und wenn wir abends mit unseren Nachbarn hinterm Haus beim Plaudern sitzen, müssen wir uns etwas über die Schultern hängen, wir müssen jeden Abend unsere Garten- und die Haustürlampen früher anzünden, und wir beobachten, dass die Schaffensfreude unserer Gartenalben nachlässt. Der Herbst streift durch das Land. Er nimmt dem Laub das Grün, das Leben, verleiht der Natur jedoch mit einer üppigen Farbenpracht ein letztes, freudvolles Aufleben. Und er beschert uns die Ernte. Haben wir die dann glücklich eingebracht, so werden wir langsam wieder besinnlich. Süßer Erfüllung Ruh, empfinden wir und sitzen bisweilen, wie auch hier und jetzt, auf einer
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