Die Hexe und der Herzog
werden darf, wenn es heilen soll. Dann ist es allerdings sehr wirksam im Kampf gegen die lästigen Auswirkungen der Gicht. Erwischt man jedoch zu viel davon, führt es zu Herzrasen, Halluzinationen, Schwindel, Erbrechen und blutigen, äußerst schmerzhaften Durchfällen. Schließlich erfolgt der Exitus. Einmal in derart hoher Dosis verabreicht, gibt es kein Gegenmittel und damit auch keine Rettung.«
»Was hat das alles mit der Angeklagten zu tun?«, rief Kramer erbost. »Ihr verliert Euch in Nebensächlichkeiten, Merwais!«
»Wohl kaum«, gab Johannes eisig zurück. »Nur noch ein wenig Geduld, dann werdet Ihr schon verstehen, Pater Institoris!« Er wandte sich abermals an den Medicus: »Habt Ihr den verstorbenen Hofmeister Leopold Ritter von Spiess auch als Patienten behandelt, Doktor van Halen?«
»Das habe ich. Allerdings litt dieser an einer angeborenen Herzschwäche, die unaufhaltsam weiter fortschritt. Ich habe ihm dagegen Theriak verschrieben, das Digitalis enthält.«
Johannes Merwais hielt ihm das blaue Fläschchen entgegen. »Habt Ihr dieses Gefäß schon einmal gesehen? Und wenn ja, bei wem?«, fragte er.
»Alma von Spiess, die Hofmeisterin Ihrer Hoheit, kam damit zu mir«, sagte van Halen. »Sie bat mich, es mit dem Medikament ihres Mannes zu füllen, weil er sein Medizinfläschchen aus Unachtsamkeit zerbrochen habe. Ich habe ihrer Bitte gern entsprochen.«
Johannes verließ seinen Platz, was die anderen an dem riesigen Tisch zum Raunen veranlasste, und kam mit dem Fläschchen in der Hand auf den Medicus zu.
»Ihr habt den restlichen Inhalt dieses Gefäßes vorhin in der Hofburg in meinem Beisein überprüft«, sagte er. »Befand sich noch Theriak darin, den Ihr für den verstorbenen Hofmeister auf die Bitte seiner Gemahlin hin abgefüllt hattet?«
»Nein.« Die tiefe Stimme van Halens dröhnte durch den Saal. »Vorhin habe ich darin nur Colchizin vorgefunden, am Geruch unschwer zu identifizieren. Jemand muss den Inhalt wissentlich ausgetauscht haben, um den Tod des Hofmeisters herbeizuführen.«
Das Raunen stieg an.
»All das und noch viel mehr kann sehr wohl dieses Hexenweib bewerkstelligt haben«, rief Kramer, der ungeduldig am engen Kragen seiner Kutte zerrte. »Die Macht Satans befähigt sie und ihre verderbten Gespielinnen, noch weitaus üblere Verbrechen an unschuldigen Menschen zu begehen …«
»Einspruch!«, rief Johannes. Sein Körper war schweißnass, sein Kopf glühte, doch er hatte die erste Etappe beinahe erreicht. Aber wo blieben sie nur all jene, auf die er ebenfalls fest gebaut hatte? »In diesem Zusammenhang bitte ich das Gericht, einen zweiten Zeugen zuzulassen.«
»Mir scheint, Ihr beginnt ein wenig zu übertreiben, junger Freund«, ergriff nun der Pfarrer von Axams das Wort. »Euer Bestreben, die Angeklagte zu verteidigen, in allen Ehren, und in der Tat scheint es Euch ja durchaus gelungen, durch die erste Zeugenaussage einige der schlimmsten Verdachtsmomente zu entkräften …«
»Verzeiht, Hochwürden!«, schnitt Merwais ihm kühn das Wort ab. »Vielleicht werdet Ihr gleich anders denken, wenn Ihr erfahrt, wer dieser Zeuge ist: Seine Hoheit, Erzherzog Sigmund von Tirol!«
Aufgeregtes Palaver am langen Tisch. Jeder schien zu diesem Punkt etwas zu sagen zu haben.
»Worauf wartet Ihr noch, Merwais?«, rief der Bischof schließlich. »Seine Hoheit sollte man nicht unnötig warten lassen!«
Wieder eilte Merwais zur Tür. Alle erhoben und verneigten sich, als der Herzog den Saal betrat. Er verweigerte den Stuhl, den der Verteidiger ihm höflich anbot, stand leicht gebückt vor ihm wie innerlich auf dem Sprung.
»Ich habe nur eine einzige Frage an Euch, Euer Hoheit«, sagte Johannes in seinem höflichsten Ton. »Und bedanke mich schon jetzt, dass Ihr den Aufwand auf Euch genommen habt, heute hier zu erscheinen. Erkennt Ihr dieses Fläschchen wieder?« Er hielt ihm das Glasgefäß hin.
»Allerdings«, erwiderte der Herzog. »Es gehört der Hofmeisterin Alma von Spiess. Es handelt sich um ein persönliches Geschenk, das ich ihr vor einigen Jahren gemacht habe.«
»Das war schon alles, Euer Hoheit.« Merwais verbeugte sich. »Ich habe keine weiteren Fragen mehr an Euch.«
Der Herzog verließ umgehend den Saal, nicht ohne zuvor Kramer einen finsteren Blick zugeworfen zu haben.
»Damit scheint festzustehen«, sagte der Jurist, »wer die Schuld am Tod des Ritters Leopold von Spiess trägt. Der Angeklagten Hella Scheuber jedenfalls ist dieses Verbrechen nicht länger
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