Die Hexe und der Herzog
diese kleine Elster!«
Sie lief zum Gitter und begann zu schreien.
»Johannes, komm zurück! Ich muss dir etwas sagen, etwas sehr, sehr Wichtiges!«
»Halt’s Maul, Weib!«, wurde sie von draußen angeraunzt. »Wenn du nicht gleich eins drüberkriegen willst. Dein feiner Herr Jurist ist mit der blonden Hexe bestimmt schon auf dem halben Weg zum Ratshaus.«
»Dann müsst ihr ihn eben zurückholen. Es geht um Leben und Tod!«
»Das will ich meinen!« Die Männer lachten dreckig. »Von uns aus könnte man euch alle schon längst fröhlich auf dem Galgenbühel brennen sehen.«
Verzweifelt wandte Lena sich ab. »Was sollen wir nur tun?«, sagte sie. »Das Fläschchen ist bei Sebi – und Johannes kommt nicht mehr zurück.«
»Vielleicht doch.«
Els humpelte nach vorn und schob sie energisch zur Seite.
»Ich hab hier etwas Feines«, sagte sie und zog die schwere Silbermünze aus ihrem Ausschnitt. »Die gehört demjenigen von euch, der dem Herrn Juristen nachläuft und ihn so schnell wie möglich zu uns zurückgebracht hat.«
Übereifrig wollte sich eine schmutzige Pranke durch die Gitter schieben, doch Els war schneller. Wie von Zauberhand schien die Münze wieder verschwunden.
»Gebracht hat «, wiederholte Els. »Also, worauf wartet ihr noch?«
Wo war der Kleine geblieben?
Mehrfach schon waren Niklas und Johannes die endlosen Gänge der Hofburg abgelaufen und hatten abwechselnd hinter alle Türen gespäht, doch Sebi war und blieb verschwunden.
»Er kann sich doch nicht unsichtbar machen!«, murmelte der Spielmann. »Vorhin hab ich ihn im Hof noch auf der alten Gambe klimpern hören, die ich ihm geschenkt habe, damit er hier vor Langeweile nicht umkommt. Aber jetzt ist alles mucksmäuschenstill, als ob der Boden sich plötzlich aufgetan und ihn mit Haut und Haar verschluckt hätte.«
»Da bellt irgendwo ein Hündchen.« Johannes war blass und schweißüberströmt. »Das ist alles, was ich hören kann. Wenn wir ihn nicht bald finden, müsst Ihr allein weitersuchen. Ich sollte schon längst im Rathaus sein – beim Prozess von Hella Scheuber, die meine Hilfe so dringend braucht.«
»Der Welpe der kleinen Herzogin.« Niklas klang abschätzig. »Sie führt sich ja beinahe auf, als habe sie ein Kind bekommen, so sehr verhätschelt sie ihn. Noch ein paar Wochen, und das Vieh wird uns allen auf dem Kopf herumtanzen …«
Die Tür, an der sie soeben fast vorbeigelaufen wären, stand nur einen winzigen Spalt offen. Johannes stieß sie weiter auf.
Auf dem Holzboden saß ein blonder Junge mit zerzaustem Blondschopf, auf dessen mageren, zerschrammten Knien ein schwarzer Teckelwelpe balancierte. Sein hölzernes Kästchen, das neben ihm stand, hatte Sebi offenbar für ein paar Augenblicke vergessen, genauso wie die alte Gambe unter dem Fenster, die als Spielzeug vorübergehend ausgedient hatte. Kind und Hund schienen in ihr Spiel vertieft; beide schauten erst auf, als die Männer schon im Zimmer standen.
»Sebi!«, sagte Niklas lächelnd. »Da steckst du! Wir haben dich schon überall gesucht.«
Das Leuchten in Sebis Augen erlosch. Er streckte seinen Arm aus und zog das Kästchen mit ängstlicher Miene näher heran.
»Wir brauchen deine Hilfe!«, sagte Johannes so sanft er nur konnte. »Vor allem aber braucht Lena sie, deine große Schwester.«
Niklas starrte ihn verblüfft an, schaffte es aber, nichts zu sagen.
»Du hast da etwas in deinem Kästchen«, fuhr Johannes fort, »das ganz, ganz wichtig für Lena ist. Sie bittet dich von ganzem Herzen, es mir für sie zu geben.«
Sebi schien nachzudenken. Dann schüttelte er den Kopf und presste die Holzkiste nur noch fester an sich.
»Bitte, Sebi«, mischte sich nun auch Niklas ein. »Lass uns hineinschauen – nur ein einziges Mal!«
Sebi sprang auf, als wären Häscher hinter ihm her, lief zum Fenster und drückte sich gegen die Wand. Der Welpe umsprang ihn kläffend.
»So kommen wir nicht weiter«, sagte Johannes leise. »Und wenn ich ihn festhalte – und Ihr seht schnell nach?«
»Das könnte er nicht ertragen«, flüsterte Niklas zurück. »Der Kleine hält es ja nicht einmal aus, wenn man ihn aus Versehen berührt!«
»Aber die Frauen im Loch …«
»Seid still!«, zischte Niklas, »und geht langsam nach draußen, als sei die Angelegenheit für Euch beendet. Ich will es noch einmal mit Musik versuchen, meiner alten und Sebis neuer Freundin.«
Johannes tat, was der Spielmann verlangt hatte.
Drinnen blieb zunächst alles still, dann ertönte eine
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