Die Hexe und der Herzog
innerlich wahre Höllenqualen ausstehen!
»Deiner?« Kassians Ton war barsch, doch nicht barsch genug, um seine Unsicherheit zu überspielen. Was zum Teufel hatte sie gesehen? Lena konnte fast körperlich spüren, wie sehr diese Frage ihn drückte. »Und was um Himmels willen will er hier?«
»Mein kleiner Vetter Sebastian, ja.« Sie suchte nach einer Halbwahrheit, um Kassian zu beruhigen. »Es gab da gewisse Schwierigkeiten bei seiner Geburt. Deshalb ist er wohl auch nicht ganz so geraten wie andere Kinder seines Alters. Bitte lass ihn los, Kassian! Er wollte mich sicher nur kurz besuchen. Aber jetzt wird er auf der Stelle wieder brav nach Hause gehen, dafür sorge ich.«
Ein tief verletzter Blick aus kindlichen Augen, der ihr schmerzhaft ins Herz schnitt. Ich hab dich nicht verraten, dachte Lena. Aber ich muss dich doch schützen! Besonders vor solch grobschlächtigen Kerlen wie ihm. Wie sollte einer wie er denn begreifen, wie besonders du bist? Mit aller Anstrengung rang sie sich ein Lächeln ab.
»Ich muss zurück zum Herd«, sagte sie. »Mein Wintereintopf mit Schweinebauch köchelt vor sich hin. Du ahnst ja nicht, wie viel Kraft man davon bekommt, wenn ich ihn erst einmal großzügig mit Rahm verfeinert habe! Oder willst du, dass deine Leute murren, weil der Tisch heute leer bleibt?«
»Also gut.« Kassian lockerte seinen Griff, und Sebi schoss wie angesengt davon. »Meinetwegen. Aber für Landstreicher und Idioten ist meine Küche nicht der richtige Ort. Merk dir das gefälligst ein für alle Mal! Sonst hilft dir auf Dauer auch die beste Fürsprache von oben nicht weiter.«
Lena kehrte zu ihren Töpfen zurück, doch die Arbeit am Herd, die ihr sonst so leicht von der Hand ging, konnte sie heute nur noch mechanisch verrichten, und auch bei Tisch mochte sie nicht mehr selbst zugreifen.
Kassian bestahl den Herzog – ungeniert und ohne jedes Schamgefühl. Jetzt war er natürlich gewarnt und würde sich vorsehen, doch sie war überzeugt, dass seine Gier letztlich die Oberhand behalten würde. Schon die nächsten Tage bestätigten ihren Verdacht. Es war offenbar zu verführerisch für Kassian, weiterzumachen wie bisher, nachdem die Quellen in seiner Nähe augenblicklich doch so überreichlich sprudelten. Wann immer sie die Ohren spitzen konnte, tat sie es, hielt die Augen auf, blieb in seiner Nähe, um möglichst viel aufzuschnappen, vergaß aber dabei nie die notwendige Vorsicht. Erst nach und nach wurde ihr klar, welch perfides System des Unterschleifs der Koch entwickelt hatte. Kassian bediente sich nie übertrieben, sondern nahm von allem nur jeweils eine gewisse Menge, gerade so viel, dass es sich für ihn lohnte, aber nicht auffiel. Wenn man jedoch rechnen konnte – und das hatte Els Lena schon als kleinem Mädchen beigebracht -, kam man auf eine durchaus beeindruckende Summe.
Sollte sie Els davon erzählen? Das wäre doch nur neues Wasser auf deren endlosen Mühlen vom verderbten Hofleben. Und Bibiana? Die war viel zu ehrlich, um irgendeinem anderen etwas Derartiges zuzutrauen.
Nach ein paar Tagen hielt Lena es nicht länger aus und vertraute Niklas, als sie ihm im Burghof begegnete, ihre neue Erkenntnis an. Ausnahmsweise war gerade sonst niemand zu sehen, was Lena gut ins Zeug passte, sie jedoch gleichzeitig verlegen machte. Ihr Herz jedenfalls schlug beim Anblick des schmucken Spielmanns, der seit ein paar Tagen die Gesindeküche regelrecht zu meiden schien, deutlich schneller. Ob ihn die vielen Menschen vertrieben hatten? Oder war sein Interesse an ihr nur gering gewesen und bereits wieder erloschen?
Niklas zog sie in den nächsten Torbogen und legte seinen Finger auf ihre Lippen. »Du solltest vorsichtiger sein, Mädchen! Oder willst du dir hier gleich von Anfang an Feinde machen?«
»Aber er betrügt doch und stiehlt ganz ungeniert …«
Niklas’ muskulöse Arme, die in der engen roten Schecke bestens zur Geltung kamen, breiteten sich wie Schwingen aus. Er war kein Hänfling, wie so viele der halb verhungerten Spielleute und Gaukler, denen Lena schon begegnet war, sondern ein kräftiger, hoch gewachsener Mann.
»Es gibt doch von allem mehr als genug«, sagte er. »Und nicht nur einen Dieb, darauf kannst du wetten. Oder glaubst du, dein feister Koch ist der Einzige am Hof, der dreist in die eigene Tasche wirtschaftet? Das tun sie alle, jeder auf seine Art, angefangen vom schmutzigsten Talgkocher bis hinauf zum noblen Herrn Hofmeister.«
Lenas Haut glühte in Niklas’ Gegenwart, und das
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