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Die Hexe und der Herzog

Die Hexe und der Herzog

Titel: Die Hexe und der Herzog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Winter aus Hirschlederresten zusammengeflickt hatte, waren speckig und starrten vor Schmutz. Die lammfellgefütterte, viel zu weite Schecke ließ ihn nur noch armseliger wirken. Sein blondes Federhaar stand verfilzt und widerspenstig nach allen Seiten ab. Offensichtlich hatte er sich wieder tagelang nicht kämmen lassen. Das schmale Gesicht war braun von Lehm.
    Der Junge hätte in der Tat keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können, denn seit den ersten Morgenstunden wollte der Zug von Bauern und Knechten nicht mehr abreißen, die durch die Tore strömten und immer noch weitere Lieferungen an Schlachttieren, Eiern, Getreide und Wein in die Hofburg brachten. Jeder, der in der Küche zu tun hatte, schuftete unter Hochdruck, allen voran Kassian, musste er doch Stück für Stück mit den endlosen Listen des gestrengen Kämmerers abgleichen. Offenkundig jedoch waren seine Fähigkeiten im Lesen und Schreiben eher bescheiden. Deshalb beschränkte er sich auf ein kaum durchschaubares System von Kreuzen, Kringeln und Strichen, das ihn zwischendrin allerdings immer wieder zu lautstarken Tobsuchtsanfällen trieb.
    »Nach links gefälligst, direkt hinein in die Stallungen!«, schrie er, als neue Schweine hereingetrieben wurden. »Bist du blind, du lahmarschiger Tölpel?« Schon im nächsten Augenblick riss er einem jungen, rotwangigen Burschen die Kiste voller Ungeduld aus den Händen. »Nicht hierher, Tropf, schrundsdummer! Alle Eier zum Hintereingang. Wie oft soll ich das noch sagen?«
    Mittlerweile wurde freier Platz immer rarer. Obgleich sowohl der Neuhof als auch die Hofburg mit stattlichen Eiskellern ausgerüstet waren, in denen man zahllose gefrorene Blöcke gestapelt hatte, schien selbst hier die Aufnahmekapazität allmählich erschöpft. Kassian führte sich auf, als ruhe die gesamte Verantwortung allein auf seinen Schultern.
    »Ihr treibt mich noch zur Verzweif lung!« Vily, der nicht schnell genug Reißaus genommen hatte, bekam im Vorübergehen eine saftige Kopfnuss verpasst. »Wollt ihr, dass ich vor dem Fest mausetot umfalle? Dann macht ruhig so weiter, alle miteinander! Und was zum Teufel hat dieses verlauste Lumpenbündel hier in meiner Küche zu suchen?«
    Seine Rechte holte weit aus. Bevor Lena ihm in den Arm fallen konnte, hatte Sebi sich geschmeidig geduckt, seine unvermeidliche kleine Holzkiste als kostbarsten Schatz wie immer fest an sich gepresst. Kassians Schlag ging ins Leere, was ihn nur noch wütender machte.
    »Ich krieg dich, kleine Ratte, darauf kannst du wetten!«, stieß er hervor und versuchte den Jungen zu packen. Sebi rannte los, kroch unter den Tisch, kam wieselflink wieder hervor und schlug zwischen halb aufgerissenen Säcken, Schemeln, Mörsern, Raspeln, Krügen und Platten Haken wie ein flüchtiger Feldhase. Kassian blieb ihm zwar auf den Fersen, doch der wendigen Schnelligkeit des Kleinen war er mit seiner stattlichen Wampe nicht gewachsen. Ein paar schweißtreibende Runden hatten sie schon in der Küche gedreht, als Sebi plötzlich wieder die Richtung änderte und hinausrannte, in den kleinen Vorraum, direkt auf jene Tür zu, die bislang stets verschlossen gewesen war.
    Er riss sie auf und war mit einem Satz hinter dem Hirschbalg verschwunden, der von der Decke baumelte.
    Keuchend blieb Lena, die ihm gefolgt war, an der Schwelle stehen.
    Ihr gingen schier die Augen über, denn sie begriff sofort, wo sie sich hier befand: vor Kassians persönlichem Vorratslager. Eine abgehangene Schweinehälfte, Hühner, die in geflochtenen Käfigen aufgescheucht um ihr Leben gackerten, Körbe voller Eier, mehrere Säcke Mehl. Fässer mit Wein und Öl. Getrocknete Früchte. Ein stattlicher Hügel aus Orangen und Zitronen – und das alles mitten im Winter! Lauter Kostbarkeiten, die Kassian von den herzoglichen Lieferungen heimlich abgezweigt haben musste. Wenn er erst einmal begriff, was Lena gerade entdeckt hatte, würde sie keinen Augen blick mehr sicher vor ihm sein.
    Aus einer plötzlichen Eingebung heraus bückte sich Lena und begann umständlich an ihrem Stiefel zu nesteln, um Kassian ausreichend Zeit zu geben. Als sie sich nach einer ganzen Weile wieder aufrichtete, war die Tür verschlossen. Davor hatte sich Kassian mit drohender Miene aufgebaut, den kreidebleichen Sebi fest im Klammergriff.
    »Tu ihm nichts!«, sagte Lena schnell. »Bitte! Sebi weiß nicht immer so ganz genau, was er gerade anstellt.«
    So hart gepackt zu werden, und das auch noch von einem fremden Rohling – der Kleine musste

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