Die Hexe und der Herzog
wieder fuhren die Hände in die großen Schüsseln, aus denen jeweils zehn Leute gleichzeitig aßen, stocherten mit Holzlöffeln nach dem Kraut, packten die würzigen Würste und zuzelten sie geräuschvoll aus. Langsam röteten sich die Gesichter, wozu sicherlich auch die randvollen Metkrüge ihren Teil beitrugen, die von Vily immer wieder neu gefüllt werden mussten.
Lautes Geschrei störte die Stille.
»Ein Holzfäller«, schrie ein Mann, »er ist mit dem Schlitten verunglückt!«
Einige sprangen auf und rannten nach draußen, während andere die Gunst der Stunde nutzten und weiteraßen. Nach einer Weile wurde ein Mann hereingetragen. Blut lief aus einer großen Kopfwunde. Seine Augen waren glasig. Sie legten ihn auf eine Bank und beratschlagten, was zu tun sei.
»Van Halen muss her«, sagte Lena. »Der Medicus soll sich ihn ansehen.«
Rohes Gelächter.
»Man merkt, dass du neu hier bist«, sagte einer der Küchenjungen. »Der ist doch nur für die hohen Herrschaften zuständig, nicht für unsereins.«
»Aber dieser Mann braucht doch Hilfe! Da ist ja kein Tropfen Blut mehr in seinem Gesicht!« Sie suchte nach einem sauberen Tuch und wollte sich dem Verletzten nähern, als Kassian sie grob zur Seite stieß.
»Der braucht keine Hilfe mehr«, sagte er und schlug das Kreuzzeichen. »Außer für seine unsterbliche Seele.«
Als hätte ihn der Verletzte gehört, schlug er die Augen auf. Ein tiefes, heiseres Röcheln. Dann fiel sein Kopf zur Seite.
Er atmete nicht mehr.
»Den hat ganz allein der Herzog auf dem Gewissen«, flüsterte Vily Lena zu, als man den Toten weggebracht hatte. »Sieben Stämme pro Schlitten verlangt er jetzt, sieben! Und das zu dieser Jahreszeit, wo alles eisig gefroren ist. Mein Vater hat auch Holz gefahren, aber mehr als fünf Stämme durften es niemals sein, das weiß ich noch ganz genau.«
Obwohl der Junge ihr beim Abwasch zur Hand ging, fühlte Lena sich plötzlich todmüde. Bald würde das ganze Geschirr sauber sein – was aber wartete dann zu Hause auf sie?
Das versteinerte Gesicht von Els. Keine zehn Worte hatte sie mit ihr gewechselt, seit sie hier arbeitete, und Bibiana, die wieder mit ihrer Ringelblumensalbe ankäme, würde klagen, was des Herzogs schmutzige Gesindeteller aus Lenas schönen Händen machten. Dazu Sebi, von dem natürlich keine Silbe kam, der aber den unausgesprochenen Ärger mit jeder Faser seines kleinen Körpers aufnahm und im Gasthof umherschlich wie ein geprügelter Welpe.
Der Kloß in Lenas Kehle wuchs. Nichts als Zank und Unfrieden. War das die ganze Sache wirklich wert?
Sie griff nach ihrer Schürze, um sich das »Augenwasser«, wie Sebi die Tränen zu nennen pflegte, abzuwischen, als Flötenklänge sie plötzlich innehalten ließen. Es war nur eine kleine, einfache Melodie, fast wie Vogelzwitschern, aber so leicht und hell, dass man einfach zuhören musste. Die Töne trieben dem Höhepunkt zu, einem fröhlichen Tirilieren, um danach leiser und ruhiger zu enden.
»Das ist Niklas«, sagte Vily, der Lenas verändertes Gesicht genau beobachtet hatte. »Lautenspieler, Flötist, Trompeter. Freche Verse schmieden kann er auch. Nicht mal der Herzog wird darin verschont. Seltsamerweise scheint der es sogar zu mögen. Dieser Niklas darf bei ihm einfach alles!«
Lena reckte den Hals, als der Musikant am offenen Fenster vorbeikam. Wirre Locken, rötlichbraun wie reife Kastanien, eine kühne Nase, ein lachender, voller Mund. Und strahlende blaue Augen, die sie voller Neugierde ansahen.
Zwei
D ass Kassian stahl, bemerkte Lena erst, als Sebis heller Schopf nach ein paar Tagen ganz überraschend in der Gesindeküche auftauchte. Wie der Kleine sie im Labyrinth der Hofburg überhaupt so zielsicher hatte ausfindig machen können, war ihr zunächst rätselhaft, aber sobald sie genauer darüber nachdachte, doch keine echte Überraschung. Schon oftmals hatte Sebi bewiesen, über welch feine Sinne er verfügte, auch wenn kaum ein verständliches Wort über seine Lippen kam. Jetzt stand er vor ihr, mager und zerzauster denn je, und sah mit seinen wasserhellen Augen zu ihr auf.
»Ist das etwa dein Balg?«, spottete einer der aufmüpfigsten Küchenjungen, anstatt weiter seine Zwiebeln zu schneiden, wie sie es ihm aufgetragen hatte. »Eine feine Vogelscheuche hast du da in die Welt gesetzt!«
Lena schluckte den Ärger über diese Bemerkung hinunter, denn der Frechdachs hatte leider nicht ganz unrecht. Sebis heiß geliebte Beinlinge, die Bibiana ihm im letzten
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