Die Hexe und der Herzog
unscheinbare Kapelle, die ihnen seit Jahren zur tröstlichen Zuflucht geworden war. Von außen hätte man sie mit einem halb verwitterten Stall verwechseln können, so karg stand sie da in ihrem Schieferkleid inmitten des winterlichen Weiß. Kaum aber hatte sich die schwere Holztür hinter ihr geschlossen, war es Els, als sei sie in einer anderen Welt angelangt.
Durch zwei schmale Fenster fiel nur spärliches Licht. Doch dank all der Besucherinnen, die ihre Wünsche, Ängste und Nöte hier niederlegten, war dafür gesorgt, dass die dicken Kerzen vor dem Altar niemals erloschen. Gleich beim Eingang, neben dem steinernen Weihwasserbecken, leuchtete in warmen Farben das große Fresko des heiligen Christopheros von der Wand, der das Jesuskind auf seinen starken Schultern durch einen Fluss trug. Els fiel auf, dass die große Zehe des Riesen seit ihrem letzten Besuch noch stärker in Mitleidenschaft gezogen worden war. Schwangere Frauen pflegten den Mörtel abzukratzen, um den Staub unter ihr Essen zu mischen, damit ihr Kind stark und kräftig wurde.
Wie von einer unsichtbaren Kraft angezogen, ging Els weiter, bis sie schließlich vor dem Altar in die Knie sank. Allgemein wurde behauptet, bei den Holzfiguren, die links neben der Statue der Gottesmutter standen, handle es sich um die christlichen Märtyrerinnen Katharina, Margarete und Barbara. Die Frauen des Landes aber wussten es besser, auch wenn es sicherlich klug war, das Geheimnis zu bewahren.
»Wilbeth. Ambeth. Borbeth«, flüsterte Els andächtig, und jetzt schlossen sich ihre Hände wie von selbst zum Gebet. »Ihr Ewigen, die ihr seit jeher wart. Ihr, die ihr immer sein werdet, zu euch trage ich mein ganzes Herz.«
Ihr wurde leicht schwindelig, und der Weihrauchduft, der diese Kapelle stets erfüllte, erschien ihr plötzlich intensiver. Sie musste die Augen nicht offen halten. Am besten konnte sie sie mit dem Herzen sehen, jene drei goldenen Kronen, die die Bethen auf dem Kopf trugen und die sie zu wahren Königinnen machten. Wieder einmal spürte Els, auf welch wunderbare Weise die drei sich in all ihrer Verschiedenheit gegenseitig ergänzten: Wilbeth mit dem Sonnenrad, Ambeth, an der sich die Lebensschlange emporwand, und schließlich Borbeth, die den Bergfried bei sich trug und all diejenigen beschützte, die ihr Brot im Bauch der Erde verdienen mussten.
Jetzt war die Erinnerung an Johanna wieder leuchtend und stark, nicht jene an die schrecklichen Krankheitstage, die von Kummer und nahendem Abschied gezeichnet gewesen waren, sondern die an ihre freudigen Jahre schwesterlichen Zusammenseins. Wie ein glatter, warmer Stein war Els die Ältere stets erschienen, poliert und von Sonnenlicht erfüllt, während sie sich selbst als rauen, zackigen Felsbrocken empfunden hatte, der die Nacht bevorzugte und sich stets und ständig an anderen reiben musste.
Und Lena?
Sie hat etwas von uns beiden, dachte Els. Johannas Wärme und meinen sperrigen Widerspruchsgeist. Lena darf nicht untergehen! Nicht einmal in Herzog Sigmunds Vorhölle!
Um einiges getrösteter machte sie sich auf den Heimweg in die Stadt, mit schnellen, energischen Schritten, weil sie sich plötzlich nach menschlicher Nähe sehnte. Obwohl der Tag sich langsam neigte, waren noch immer auffallend viele Menschen mit Ochsenkarren, Pferdegespannen und Leiterwagen unterwegs, die alle in Richtung Hofburg zogen.
Für einen Augenblick stieg die altbekannte Bitterkeit in Els auf. Herzog Sigmund presst uns alle erbarmungslos aus, dachte sie. Niemand ist vor ihm sicher. Für ihn sind Untertanen keine Menschen mit einer unsterblichen Seele, sondern lediglich dazu da, um seine Lüste zu befriedigen.
Sie war froh, als endlich Barbaras Haus in Sicht kam. Hungrig und durchgefrorenen nach dem beschwerlichen Weg, beschloss sie, eine kleine Rast bei der Hebamme einzulegen, bevor die abendliche Arbeit im »Goldenen Engel« sie bis in die Nacht hinein in Anspruch nehmen würde. Für gewöhnlich war ihre Freundin die Gastfreundschaft in Person, deren heißen Hollerwein sie während der Winterszeit besonders schätzte, heute aber fand Els sie mit finsterem Gesicht im Torbogen stehen.
»Ja, schert euch doch zum Teufel!«, schrie Barbara dem Paar hinterher, das sich gerade mit einem hoch bepackten Karren davonmachte. »Und wagt euch nie wieder in meine Nähe, das rat ich euch, sonst könnt ihr was erleben!«
Keuchend wandte sie sich Els zu.
»Solch unverschämtes Pack! Erst monatelang den Mietzins schuldig bleiben, meine
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