Die Hexe und der Herzog
dass sie sie auch nur berührt hätte. Lena stand einem schlanken Mann gegenüber, der nicht viel größer als sie selbst war und sie fragend musterte. Blonde, halblange Haare, an Stirn und Schläfen schon gelichtet, das Gesicht länglich und schmal. Die grauen Augen hatte er leicht zusammengekniffen, was ihm einen skeptischen Ausdruck verlieh.
»Du willst zu mir?« Es klang, als rechne er mit einem Nein. »Oder hast du dich bloß verirrt?«
Verstohlen schaute Lena an sich hinunter. Nach den ersten Tagen in der Gesindeküche hatte sie jegliche Mühe aufgegeben, sich auch nur halbwegs ansehnlich anzuziehen. Denn sehr schnell landete unweigerlich ja doch wieder ein Schwall Suppe auf dem Rock, ihr Mieder bekam Fettflecke ab, oder sie musste die Schürze als Schutz benutzen, um sich nicht die Finger an fettigen, glutheißen Henkeln zu verbrennen. Heute war das schmutzige Potpourri auf ihrem Gewand besonders heftig ausgefallen. Mehl und Schmalz hatten überall ihre verräterischen Spuren hinterlassen. Sie musste aussehen wie die niedrigste Küchenmagd – und genauso fühlte sie sich in diesem Augenblick.
»Bist du stumm?«, fragte der Jurist weiter. »Oder einfach nur schüchtern?«
»Es tut mir leid«, stieß sie hervor. »Ich wollte …« Sie verstummte.
»Reden kann sie schon mal, das ist gut«, sagte er. »Jetzt muss ich nur noch wissen, was die junge Frau von mir will.«
»Nichts. Gar nichts! Ich dachte nur …« Lena verstummte erneut, senkte den Kopf und wäre am liebsten auf der Stelle im Erdboden versunken. Doch leider tat sich weit und breit kein gnädiger Spalt auf, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als den Mann irgendwann wieder anzusehen.
Sein Gesicht hatte sich verändert, wirkte weicher, fast belustigt. Er war um einiges jünger, als sie zunächst gedacht hatte, konnte ihrer Schätzung nach die dreißig kaum überschritten haben.
»Ich bin Johannes Merwais«, sagte er. »Doktor der Juristerei. In Diensten Seiner Hoheit. Und du …«
»Lena. Aus der Gesindeküche. Dort wissen wir seit Tagen nicht mehr, wo uns der Kopf steht. Alle rennen durcheinander, es gibt diese endlosen Listen, aber stets fehlt irgendetwas, denn Kassian, der Koch …« Beschämt hielt sie inne. »Ich hab heute Krapfen gebacken«, setzte sie hinzu. »In heißem Schmalz. Ganz frisch schmecken sie am allerbesten.«
Was redete sie da? Der Doktor der Juristerei musste sie für eine Idiotin halten, die nichts als Unsinn brabbelte.
Johannes Merwais begann zu lächeln.
»Krapfen? Ja, das sieht man«, sagte er, langte an das Tuch, das Lena um ihre widerspenstigen Haare geschlungen hatte, und hielt plötzlich etwas in der Hand. »Ein Teigrestchen«, sagte er, nachdem er daran geschnuppert hatte. »Und wenn es so gut schmeckt, wie es riecht, sollte ich euch da unten wohl bald einen Besuch abstatten.«
Irgendwie hatte sie schließlich zu ihrem eigenen Erstaunen das Kunststück fertiggebracht, einen Gruß zu murmeln, sich auf dem Absatz umzudrehen und die Treppe hinunterzulaufen. Ob er ihr nachgeschaut hatte, daran wollte sie lieber gar nicht denken. Und erst recht nicht daran, welchen seltsamen Eindruck sie wohl bei ihm hinterlassen haben musste.
Bis zum Mittag arbeitete Lena mit Feuereifer, als ob sie damit ihren wenig geschickten Auftritt ungeschehen machen könnte. Sie hatte große Töpfe aufgesetzt, in denen Blamensir sott, ein Gericht aus Hühnerfleisch, Mandelmilch, Rosenwasser, Salz, Pfeffer und einer Prise Zucker, das gut eindicken musste, damit es richtig schmeckte. Der feine Geruch erfüllte die ganze Küche, und sie hatte mehr als eine vorwitzige Hand wegzuschlagen, die schon mal vorab eine kräftige Portion davon naschen wollte. Nach einer Weile schaute ihr sogar Kassian über die Schulter, zog seine Sattelnase hoch und sog genießerisch das Aroma ein.
»Riecht gar nicht so übel«, murmelte er.
»Die Gockel waren ganz schön mager«, sagte Lena. »Fette Kapaune geben da sicherlich um einiges mehr her. Aber ich hab zumindest die Haut fein säuberlich abgezogen. Und zum Glück hatte ich Bibianas Rosenwasser zur Hand, ohne das das Gericht gar nicht zuzubereiten wäre.«
»Bibiana?«, wiederholte Kassian. »Wer soll das sein?«
»Meine Großmutter«, sagte Lena rasch, weil alles andere nur umständliche Erklärungen nach sich gezogen hätte. »Die beste Köchin der ganzen Welt!«
»Gehörst du etwa auch zu diesen Giftpantscherinnen, die in Innsbruck ihr Unwesen treiben? Irgendein Zeug von zu Hause mitbringen und es
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