Die Hexe und der Herzog
Allein am kurzatmigen Schnauben hätte sie Cornelius van Halen auch mit geschlossenen Augen erkannt. »Ich hab mich hier runtergequält, weil ich gern noch einen kleinen Nachschlag hätte.«
»Man hat Euch schmählich übergangen?« Sie mochte diesen dicken Mann mit dem großen Herzen, der sie so fürsorglich untersucht hatte.
»Sozusagen.« Er lachte leise. »Nicht zum ersten Mal übrigens. Vielleicht, weil niemand sich so recht vorzustellen vermag, dass man immer hungrig sein kann.«
»Ich fürchte, die Creme ist restlos aufgegessen.« Lena inspizierte die Schüsseln. »Nein, wartet! Hier ist noch etwas. Aber inzwischen natürlich schon kalt geworden. Das wird bei Weitem nicht mehr so gut schmecken.«
»Hauptsache, es ist süß und weich. Gib mir ruhig den ganzen Rest!« Van Halen begann zu strahlen. »Und jetzt glotz bloß nicht so anzüglich auf meinen fetten Ranzen! Heißt es nicht, der Bauch sei der Meister aller Künste?«
»Ihr sollt ja genießen!«, sagte Lena, die für ihn den Rest herauskratzte und in eine kleine Schüssel gab.
Schon hatte er seinen Löffel herausgezogen und alles im Nu verschlungen.
»Ich mag Menschen, die gern essen«, fuhr Lena fort. »Wozu sonst sollte man sich die Mühe machen, mit Liebe zu kochen? Aber muss es denn immer gleich in Mengen sein?«
»Dicke Männer sind klüger. So steht es schon bei Thomas von Aquin geschrieben. Und der hat in vielen Sachen recht.« Der Medicus kniff die Augen zusammen und musterte Lena. »Was macht eigentlich dein Kopf?«, fragte er. »Irgendwelche Nachwirkungen?«
»Mein Kopf? Den hab ich ganz vergessen. Ich hatte gar keine Zeit, überhaupt noch an ihn zu denken«, rief Lena. »Seit ich hier am Hof arbeite, ist alles in meinem Leben ganz anders geworden.«
»So haben sich deine Wünsche tatsächlich erfüllt?« Seine vollen Lippen lächelten, die Augen aber blieben ernst.
»Ja«, sagte Lena und dachte an all die ungeklärten Fragen, die noch immer auf ihrer Seele brannten. »Beinahe.«
Drei
P ippo sauste durch die Wirtsstube, gefolgt von Sebi, der einen Juchzer nach dem anderen ausstieß und rannte, dass sein löchriger Kittel um die mageren Glieder flatterte, obwohl für ihn kaum Aussicht bestand, den schwarzen Kater zu erhaschen. Ein aufregendes Spektakel, das sich jeden Tag einige Male in stets gleicher Manier vollziehen konnte, wenn der Junge sein schier endloses Hin-und-her-Wiegen in der Hocke abgebrochen hatte. Meist gipfelte es darin, dass Pippo mit einem Satz auf den Kachelofen sprang und danach nicht minder elegant die oberste Balkenverstrebung erklomm, um von dort aus sicherer Höhe mit peitschendem Schweif auf seinen kleinen Verfolger herunterzufunkeln.
Die Stammgäste des »Goldenen Engel« wandten nicht einmal mehr den Kopf, wenn Sebis schrille Freudenschreie erklangen und er sich schütteln musste, als sei irgendein fremder Geist in ihn gefahren. Heute jedoch rief das längst gewohnte Spiel von Kind und Tier bei einigen Besuchern tiefe Missbilligung hervor. Ambros Säcklin, als Witwer am Kopfende einer Trauergesellschaft, die den großen Ecktisch belegte, hatte vor Ärger bereits einen blutroten Schädel.
»Kannst du euren kleinen Trottel nicht endlich zum Schweigen bringen?«, zischte er, als Lena gerade zwei schwere Töpfe mit Rindfleisch in Rosmarinbrühe und gesottenem Schweinefleisch in Korinthensauce auf den Tisch hievte. »Das ist ja nicht zum Aushalten!«
Von seiner Mutter, einer spitzgesichtigen Alten in kostbar verbrämter Witwenhaube, erhielt er Unterstützung: »Diese Faxen sind in der Tat unerträglich.« Ihre Haut war gelblich wie altes Pergament, die Lippen glichen einem Strich. »Sperrt ihn am besten weg wie ein wild gewordenes Tier, damit er endlich Ruhe gibt. Schließlich haben wir einen Leichenschmaus und kein Fastnachtstreiben!«
Vor Empörung verschlug es Lena zunächst die Sprache, dafür aber konterte Rosin, die mit am Ecktisch saß, an ihrer Stelle umso schlagfertiger: »Das mit dem ›Trottel‹ würde ich mir noch einmal gut überlegen, Bader! Oder kannst du mit Sicherheit vorhersagen, was einmal aus deinem armen Würmchen wird, das soeben seine Mutter verloren hat? Dann wärst du ja noch gescheiter als der gnädige Herrgott und all seine Heiligen zusammen.«
Lenas Augen blitzten. Endlich kam auch ihr die richtige Antwort über die Lippen: »Der ›Goldene Engel‹ ist Sebis Zuhause, ob es dir nun passt oder nicht. Und wenn es dir bei uns nicht gefällt, kannst du deinen Leichenschmaus
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