Die Hexe und der Herzog
vorbei, so nah, dass sie ihn beinahe berührte, und stieg leichtfüßig weiter treppauf.
Weder ihren Gesichtsausdruck noch ihren Geruch konnte Kramer vergessen, als er in Richtung St. Jakob ging. Schweiß hatte er gerochen, Furcht und Weib – er hätte nicht einmal sagen können, was ihm davon ekliger gewesen war. Die Mutter des Herrn – wie er es verabscheute, wenn Weiber wie diese Els das Allerheiligste in den Mund nahmen!
Kramer betrat die Kirche, ging zum Weihwasserbecken, beugte sein Knie und bekreuzigte sich. Danach betete er lange vor einem der Seitenaltäre, den eine große Jakobusstatue schmückte. Keinem Märtyrer fühlte er sich näher, war dieser Jünger Jesu doch furchtlos zur Mission ins Feindesland aufgebrochen, hatte mutig den Heiden widerstanden und später sein Leben für den Heiland hingegeben. Seit Jahrhunderten pilgerten Gläubige zu seinem Grab im fernen Spanien, und auch wenn Kramer jenen Ort der Gnade gewiss niemals mit eigenen Augen sehen würde, so war er ihm dennoch inniglich vertraut.
Als sein Herz sich wieder frei und leicht anfühlte, wanderten seine Augen durch die Kirche. Am Ende der schlanken Säulenreihe erhob sich in elegantem Schwung die hölzerne Kanzel. Bald würde er hier stehen und mit brennenden Worten die Seelen der Menschen entzünden. Er vermeinte jene einmalige Energie bereits zu spüren, die jedes Mal frei wurde, sobald die Sünder seinem Befehl folgten und endlich all jenes Dunkle ans Licht gezerrt wurde, das jetzt noch im Geheimen auf teuflische Weise wirkte.
Viele Male war ihm dies bereits gelungen, doch in dieser Stadt, die hohe Berge umstanden, als wäre sie eine Festung Gottes, beschloss er, ein nie zuvor gekanntes Fanal zu setzen. Dann würde auch dem Bischof, der ihn mit seinem feigen Zögern gekränkt hatte, nichts anderes übrig bleiben, als zu seinem Gefolgsmann zu werden.
Kramer trat ins Freie, wandte sich nun in südliche Richtung. Für die Menschen mit ihren Karren und Ochsenwagen, die ihm unterwegs begegneten, hatte er nur einen kurzen Blick. Einfach sahen sie aus, ärmlich gekleidet, scheinbar mit ihrem Tagwerk beschäftigt. Er aber ließ sich nicht täuschen von dieser friedlichen Oberfläche. Niemand wusste besser als er, was alles in der Tiefe lauern konnte, bis das heilige Feuer es schließlich reinigen und für immer verzehren würde.
Das schnelle Ausschreiten tat gut; er spürte, wie seine Lunge sich weitete, und selbst die Augen, die ihm beim nächtelangen Lesen und Schreiben in letzter Zeit manchmal geschwächt erschienen, gewannen ihre frühere Stärke zurück. Der Schnee unter seinen genagelten Sohlen war matschig, denn seit dem Vormittag wehte ein warmer Wind aus Süden, der zwar seine Schläfen gefährlich pochen ließ, dafür aber das lang ersehnte Tauwetter in Gang gesetzt hatte. Jetzt musste man aufpassen, dass man den Häusern nicht zu nah kam, von deren Traufen riesige Eiszapfen krachend zu Boden stürzten.
Er behielt sein Tempo bis zum Stadttor bei, dann wurde er etwas langsamer. Die Türme des Stifts Wilten kamen in Sicht. Sein Ziel, der Prämonstratenserkonvent, war beinahe erreicht.
Erleichterung breitete sich in Kramer aus. Warum nur hatte er so lange mit diesem Schritt gewartet? Allein die Außenansicht des mächtigen Stiftsgebäudes tat seiner Seele wohl. Merkwürdig allerdings, dass in einer stolzen Stadt wie Innsbruck nicht mindestens ein halbes Dutzend Klöster verschiedener Orden zu finden war.
An der Pforte wurde er nach kräftigem Klopfen von einem älteren, schon leicht gebeugten Bruder begrüßt, der ihn einließ, nachdem er sein Anliegen vorgebracht hatte, und in einem eiskalten Vorraum zu warten aufforderte.
Nach einiger Zeit kam der Bruder zurück und führte ihn, wie gewünscht, zum Abt. Freilich war Kramer enttäuscht, wie jung der Mann war, dem er sich nun gegenübersah, ein weiches, teigiges Gesicht mit kurzer Nase und vollen Lippen, das auf einen Genussmenschen schließen ließ und nichts von der mönchischen Strenge ausstrahlte, nach der er sich gesehnt hatte.
»Ich bin Prokop, Prior dieses Stiftes, und heiße Euch herzlich willkommen, Pater Heinrich.« Ein stattlicher Bauch wölbte sich unter des Priors Kutte, was Kramer ebenfalls missfiel. »Wo kommt Ihr her?«
»Aus Brixen. Ich wollte den Abt sprechen.« Die Enttäuschung war ihm anzuhören.
»Da seid Ihr leider zwei Wochen zu spät. Unser geliebter Abt Melchior ist nach schwerer, tapfer ertragener Krankheit zum Allmächtigen heimgegangen. Bis zur
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