Die Hexe und der Herzog
zurück«, sagte Lena, um die lästigen Gedanken loszuwerden, obwohl sie nur zu genau wusste, dass ihr Niklas unweigerlich doch wieder in den Sinn kommen würde, und wenn er hundertmal zu Sigmunds Kegeln gehörte. »Sonst hat Chunrat tatsächlich Grund, grimmig zu sein. Was ist eigentlich mit den Steckrüben? Die sehen ja immer noch aus, als hätte man sie eben erst aus der Erde gezogen! Willst du denn gar nicht erfahren, wie köstlich Bibianas Kraut-und-Rüben-Suppe munden kann?«
»Deine Rüben können mir gestohlen bleiben.« Nur widerwillig trabte Vily in Richtung des Eimers mit dem Schweinefutter. »Besonders, wenn ich sie ganz allein schälen muss.« »Und du drehst jetzt erst einmal eine Runde im Hühnerstall, Lena!« Chunrat musste ihr Gespräch mitgehört haben, ohne dass sie es bemerkt hatten. »Und kommst sehr zügig mit zwei Körben frischer Eier zurück.«
»Für die Herrschaftsküche?« Sofort war ihre Neugierde geweckt. Wenn sie die Eier dort hinbringen musste, würde sie vielleicht Niklas begegnen. Und der hatte sicherlich wie immer den allerneuesten Tratsch parat. Es gefiel ihr gar nicht, hier unten von allem abgeschnitten zu sein. Sie wollte in der Nähe des Herzogs bleiben, um endlich mehr zu erfahren. Einzig und allein deshalb war sie schließlich hier.
»Was dich nicht zu interessieren hat.« Der Tonfall war gewohnt barsch. »Gehst du nun- oder soll ich dir Beine machen?«
Lena legte ihr Wolltuch um, nahm die Körbe und tat, was er sie geheißen hatte. Es war nicht mehr ganz so kalt, doch der Wind, der ihr ins Gesicht blies, verriet noch wenig vom ersten Frühlingshauch. Dennoch ließ die Zeit sich nicht aufhalten. Lena sah es an den Schneeglöckchen, die neben den Ställen bereits tapfer aus dem harten Boden lugten, untrügliches Zeichen, dass der Lenz kommen würde.
Im Stroh tastete sie nach versteckten Eiern, was alles andere als einfach war, da manche Hühner, eingesperrt wegen der kalten Witterung, regelrecht kampflustig waren. Die dickste Henne, sichere Kandidatin für den nächsten Suppentopf, hackte sogar nach Lena, als sie sie verscheuchen wollte, und hinterließ auf deren Handrücken eine tiefe, blutige Schramme. Heilfroh, dem Gestank und den Attacken entkommen zu sein, füllte Lena vor der Stalltür ihre Lungen tief mit Luft, als lautes Bimmeln ihre Aufmerksamkeit erregte.
Noch bevor sie beim Tor angelangt war, wusste sie schon, was sie zu sehen bekommen würde: Die Prunkschlitten wurden zur Ausfahrt gerüstet, allen voran der schönste mit dem Basilisk, vor den sie gestürzt war und in dem nun Herzog und Herzogin Seite an Seite unter einem roten Fuchsfell saßen. Viele weitere folgten, jeder mit einer anderen aufwendig bemalten Tiergestalt verziert, besetzt mit den höchsten Würdenträgern: Herzöge, Grafen, Ritter, Städtevertreter und Geistliche aus dem ganzen Reich waren angereist, um festliche Tage in Innsbruck zu erleben. Wie prächtig sie gekleidet waren, wie fröhlich und unbeschwert sie wirkten!
Während Lena ihnen nachschaute, begann die malträtierte Hand übel zu pochen. Lena kannte sich gut genug, um zu wissen, dass der Schmerz nicht nur körperlich war. Von den feinen Herrschaften scherte keiner sich um sie, auch die kleine Herzogin hatte sie sicherlich längst vergessen. Vielleicht lief sie ja ohnehin einer fixen Idee hinterher, und die Fragen, über die sie schon so lange rätselte, würden sich niemals aufklären lassen.
Die Zweifel wurden immer größer. Hatte van Halen recht? Wollte sie doch zu hoch hinaus in diesem kalten Schloss, wo man offenbar keine bessere Verwendung für sie fand, als sie den Attacken hinterlistiger Hennen auszusetzen?
»Da ist sie, die Übeltäterin! Jetzt muss sie uns Rede und Antwort stehen!«
Purgl Geyer, die Wirtin vom »Schwarzen Adler«, hatte sich mitten auf der Gasse aufgebaut. Die Beziehungen zwischen den Betreiberinnen der beiden schräg gegenüber an der Kramergasse gelegenen Gasthöfe waren schon seit Längerem unterkühlt. Purgl wie auch ihr Bruder Dietz kamen nicht damit zurecht, dass Bibianas Kochkunst immer mehr Stammgäste anzog. Außerdem hatten die beiden vergeblich auf das Privileg der Poststation gehofft, das schließlich jedoch Laurin verliehen worden war. Was freilich noch lange nicht bedeutete, dass man sich öffentlich angiftete. Bislang waren sich die Konkurrenten nach knappem Gruß möglichst aus dem Weg gegangen.
»Willst du nicht erst einmal hereinkommen?«, schlug Els vor. »In der Stube redet es
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