Die Hexe und der Herzog
ganz und gar nicht, woran auch die schlaflosen Nächte nichts ändern konnten, in denen er sich schon mit diesen Sachen ohne nennenswertes Ergebnis herumgeschlagen hatte. Zum ersten Mal im Leben hatte er das Gefühl, seinen innersten Prinzipien untreu geworden zu sein, was ihn gleichermaßen verstörte wie wütend machte. Wäre es nicht besser gewesen, dem Herzog die Stirn zu bieten, selbst auf die Gefahr hin, dass dieser ihn dann als unfähig entlassen hätte?
Als würde er Merwais’ heimlichste Gedanken lesen können, stand auf einmal Herzog Sigmund im Kontor.
»Ich dachte mir, dass ich Euch hier finden würde.« Er zog sich einen Stuhl heran. »Und das sogar am Tag der Leiden unseres Herrn!«
»Karfreitag war gestern, Euer Hoheit. Außerdem brennt uns die Zeit auf den Nägeln. Ich denke, das wisst Ihr ebenso gut wie ich.«
Der Herzog gab ein Schnauben von sich. Im hellen Sonnenlicht traten die Rötungen auf seinen Wangen stärker als sonst hervor, winzige, geplatzte Äderchen, die seine blasse Haut durchzogen wie ein Spinnennetz. Hatte er zu viel getrunken? Oder setzte ihm die vermehrte Ausübung seiner ehelichen Pflichten besonders heftig zu?
»Aber wird es auch gelingen?«, fragte Sigmund schließlich. »Ihr wisst, was alles davon für Tirol abhängt.«
»Im Moment sieht es ganz danach aus«, erwiderte Johannes Merwais. »Wenngleich wir uns auf dünnes Eis begeben haben, denn alles, was wir tun, verstößt gegen …«
»… diesen hundsgemeinen Knebelvertrag, mit dem sie sich an meiner Notlage bereichert haben? Nicht einmal das Papier, auf dem er geschrieben steht, ist er wert!« Der Herzog war erregt aufgesprungen. »Verletzt der etwa nicht alle heiligen Regalien des Landesherrn? Ut sementem feceris, ita metetes. Was du gesät hast, wirst du ernten – nichts anderes haben diese Pfennigfuchser verdient.« Ächzend sank er auf den Stuhl zurück.
»Wir haben eine Lücke entdeckt und wir nutzen sie«, sagte Merwais sehr ruhig. »Allerdings gibt es kaum ein Handelshaus im ganzen Reich, in dem Listen und Bilanzen exakter geprüft werden als bei den Fuggern. Außerdem halten sie regelmäßige Inspektionen ab, auch das ist Euch bekannt, Hoheit. Nicht mehr lange, und ihnen wird sehr wohl auffallen, dass aus der geförderten Erzmenge in Schwaz mit einem Mal überraschend wenig Silber geschmolzen wird.«
»Wenigstens kann ich bis dahin meine Münzen prägen, darauf kommt es an«, sagte der Herzog. »Allein der Halbguldiner verschlingt mehr Silber als man sich vorstellen kann. Jede Änderung würde alles nur durcheinanderbringen. Oder sollte ich vielleicht tatenlos dabei zusehen, wie ein gieriges Krämergeschlecht die Schätze meines Herzogtums plündert, auf dass ich später auch einmal mit dem schändlichen Beinamen meines Vaters bestraft werde: Sigmund mit der leeren Tasch«?
»Ganz zu Unrecht haben sie ihn so genannt«, erwiderte Merwais. »Euer geschätzter Vater wusste sehr wohl, wie man wirtschaftet. Das beweisen diese Bücher.«
»Wen schert das schon!« Der Herzog geriet immer heftiger in Rage. »Wichtig ist doch, was in den Köpfen der Menschen haften bleibt – und nicht, was in diesen Büchern steht, die ohnehin kaum einer entziffern kann. Ich will, dass mein Volk mich liebt und verehrt. Und das wird es nur, wenn ich etwas hinterlassen kann, was von Dauer ist, versteht Ihr?«
Mit einem seidenen Tuch tupfte er sich den Schweiß von der Stirn.
»Und auch wenn die Herzogin mich in den nächsten Monaten zum stolzen Vater machen wird, was ist damit schon gewonnen? Nachkommen können auch Mädchen sein, früh versterben oder als Geiseln verschleppt werden, so wie meine feinen Verwandten in Wien es mit mir angestellt haben: ein hilfloser Waise, der sich damals dagegen nicht wehren konnte. Menschliches Fleisch ist so schwach, so anfällig, so ungemein verletzlich! Silber dagegen ist kostbar und hart. Silber kann man im Erdreich vergraben und wieder ausbuddeln, sobald die Gefahr vorüber ist. Silber lässt sich einschmelzen und zu Neuem formen. Meine Münzen werden uns alle überleben!«
»Ihr befehlt, Euer Hoheit.« Merwais deutete eine Verneigung an, um seinen wachsenden Unmut zu überspielen. Wie ein ungezogenes Kind kam er ihm manchmal vor, dieser Mann, der die Lebensmitte bereits deutlich überschritten hatte, und sich noch immer aufführte, als müsste ihm nach einem Fingerschnippen die ganze Welt zu Diensten sein. Aber das waren eben die Unterschiede, die alles ausmachten: Der eine kam mit dem
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