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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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Reichskammergericht seinen Sitz hatte und wo Sophie um Henriette kämpfen wollte. Offenbar waren dort inzwischen die Schweden eingefallen, was das Gericht allerdings nicht daran hinderte, weiter seines Amtes zu walten. Es konnte auch sein, dass die Schweden schon wieder durch die Kaiserlichen vertrieben worden waren oder durch die Spanier, was in diesem Fall aufs Gleiche hinauskam, da beide zur Katholischen Liga gehörten. Aber das Gericht stand über allen Parteien. Niemand behelligte es.
    »Und für die Stadt ist es ebenfalls egal, wer sie besetzt«, erklärte Julius. »Sie ist Lazarett, Truppenlager und Versorgungsstation für jedes Heer, das in ihre Nähe kommt. Im Herzen ist Speyer protestantisch, aber da es Sitz des kaiserlichen Gerichts ist, musste es sich zur Neutralität durchringen, die nur leider nicht immer durchzuhalten ist, weil es hier in der Nähe wichtige Festungen gibt … Frankenthal, Friedrichsburg …«
    Sie hörte ihm kaum zu. Durchschaute überhaupt noch jemand, wer in diesem Krieg, der andauerte, seit sie geboren war, aus welchen Gründen gegen wen kämpfte? Der ganze Kontinent war damit beschäftigt, einander niederzumachen. »Das alles ist verworren«, sagte sie. Julius stimmte ihr zu, hielt die Umgebung im Auge und sorgte dafür, dass sie den großen Flüssen und Städten nicht zu nahe kamen.
    Ob Marx noch lebte? Wie immer, wenn Sophie an ihn dachte, war ihr, als legte sich ein Eisenring um ihre Brust. Als Julius begriffen hatte, was sie von ihm wollte, hatte er seinen Verwalter gerufen und ihm den schwierigen Kranken mit den ironischen Worten ans Herz gelegt: »In einem Tag wird er wieder stehen können. In zweien versucht er auszubrechen, falls ihn nicht das Fieber packt, was ich nicht glaube, bei seinem bockigen Naturell. Sorge für ihn und halte ihn solange wie möglich eingesperrt. Und dann ist es gleich, wohin er geht.« Conrad hatte er fortgeschickt – wohin blieb sein Geheimnis, denn er war immer noch voller Argwohn gegen Marx.
    Was der Verletzte bei all dem dachte, wusste Sophie nicht. Marx hatte sich, von wenigen Schmerzensäußerungen abgesehen, in Schweigen gehüllt und sie ignoriert. Wahrscheinlich hasst er mich, dachte sie, weil er glaubt, dass ich ihn nur benutzt habe. Aber er hat mich ja auch benutzt. Das war die reine Wahrheit. Sie schuldeten einander nichts. Trotzdem wollte sich der Eisenring nicht lockern.
    Sie erklommen eine Anhöhe, und Julius suchte wie immer, bevor sie weiterritten, die schwarzen Wege ab, die wie ein Schachbrettmuster die abgeernteten Felder teilten. »Stimmt es, dass Ihr Jurist im Dienst einer Universität gewesen seid?«, fragte Sophie ihn.
    »Hat Marx das gesagt?«
    Sie nickte. »Ist es wahr?«
    »Würde er denn lügen?«
    Sie seufzte.
    »Marx«, erklärte Julius in seiner kultivierten Art zu sprechen, »hat vermutlich über Hexenprozesse gesprochen?«
    »Über Hexen allgemein. Er fand Euch zu nachsichtig«, gab Sophie zu.
    Julius schwieg, während er den Weg zu einer weiteren Anhöhe einschlug, wo der Wind die Baumkronen zauste und Blätter durch die Luft wirbelte wie einen goldgelben Schneesturm. »Ich hab bei diesen Prozessen mitgewirkt, Sophie. Im Auftrag der Rechtsfakultät meiner Universität habe ich fünf Monate lang die Maleficium-Prozesse im Erzstift Mainz begleitet, als Berater und Beobachter. Es hat mir nicht gefallen, was ich dort erlebte. Hexenprozesse setzen auf Geständnisse, und Geständnisse werden am raschesten durch Folter erlangt, und … Ich bin dabei gewesen: bei der Folter, den Befragungen, den Geständnissen. Und neben dem Leid, das ich kaum mit ansehen konnte, musste ich feststellen …«, er lächelte schmerzlich, »dass die Geständnisse und die Besonderheiten, die die Hexen zu ihren jeweiligen Verbrechen preisgaben, davon abhingen, welcher Inquisitor die Fragen stellte. Die Details folgten den Verhörenden von einer Stadt zur nächsten. Versteht Ihr, was ich meine? Einer der Inquisitoren, mit denen ich reiste, glaubte, dass Hexen Adler in ihrem Leib ausbrüten, die sie dann missbrauchen, um Hexensalben herzustellen.«
    »Adler?«, fragte Sophie erstaunt.
    »Oder Ungeziefer oder Schlangen. Es würde Euch verstören zu hören, wie all das angeblich in ihre Leiber gelangte. Und es hat mich verstört zu hören, wie die Hexen am Ende der Tortur darum bettelten zu erfahren, was genau sie gestehen müssten, um die Folter zu beenden. Der Inquisitor hat es ihnen gesagt – und eine Hexe nach der anderen brannte.«
    »Das

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