Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Angelegenheiten zu Euch, die so dringend sind, dass sie keinen Aufschub …«
»Gewiss, gewiss. Die Palandts … die Wildenburg …« Tomas setzte den Vogel auf einer Stange ab und geleitete sie seufzend ins Haus zurück. »Um offen zu sein: Ein Viertel unserer Arbeit würde überflüssig, wenn die Familienväter sich auf Gottes Gebot der Keuschheit besännen. Und wenn ein Mensch neben seinem ehelichen Lager schon ein anderes glaubt aufsuchen zu müssen – und jetzt spreche ich von Palandts Vater, versteht mich bitte nicht falsch –, dann sollte er Mädchen zeugen. Natürlich steht es außer Frage, dass Marsilius selbst ein treuer und verantwortungsvoller Herrscher über die Wildenburg ist, wunderbar, nichts auszusetzen, überall Ruhe. Nur diese leidige Erbgeschichte … Und jetzt gibt es auch noch Ärger mit Werner von Reifferscheidt, oder? Geht es nicht um die Blutgerichtsbarkeit? Ich glaube, Emondus behandelt die Fälle. Erinnerst du dich an Emondus, Julius? Er hat während unserer Studienzeit römisches Recht gelesen. Und hatte immer dieses scheußliche kleine Hündchen bei sich, das er mit Pansen fütterte …«
Tomas verlor sich in Jugenderinnerungen. Sein eigenes Examen war offenbar nicht ohne Probleme über die Bühne gelaufen, und Julius war ein guter Kerl gewesen, der sich nicht zierte, das eigene, umfangreichere Wissen zu teilen. Und dann war da noch die Sache mit dem Krähennest auf dem Standbild des Rektors gewesen … »Dass du mich fortgezerrt hast!«
»Was blieb mir auch übrig – der Pedell war schon in die Hosen geschlüpft.«
»Wie konnte ich mich so betrinken!«
»Und kotzen, Tomas. Du hast die Gasse überflutet.«
»Das habe ich, wahrhaftig. Erinnerst du dich an den nächsten Morgen, als der Pedell …«
Sophie knetete die Hände und sandte Julius flehende Blicke zu.
»Er hätte uns nicht allesamt beschuldigen sollen«, fiel der seinem Freund mit einem liebenswürdigen Lächeln ins Wort. »Man konnte ja schlecht die Hälfte der Scholaren hinauswerfen. Und um noch einmal auf die Angelegenheit zurückzukommen, in der ich dich aufsuche: Es geht nicht um die Erbgeschichten, sondern …« Er hüstelte. »Die Probleme sind delikat. Sie betreffen die Ehe dieser Dame. Es ist schwierig.«
»Oh!« Tomas’ Augen weiteten sich und wanderten von seinem Freund zu Sophie. »Du willst doch nicht etwa sagen, dass du … ihr beide … in einer …?«
»Herrgott, nein! Ich versuche, dieser Dame aus einer Patsche zu helfen, in die sie durch Umstände geraten ist, an denen sie wahrhaftig keine Schuld trägt, und das mache ich, weil ich ihrer Familie verbunden bin.«
»Natürlich, genau das hatte ich vermutet. Patsche? «
Julius nahm einen viel zu großen Schluck aus dem Glas mit dem süßen, hellen Wein, den Tomas ihnen eingeschenkt hatte. »Es geht um Sophies Tochter. Das Kind lebt bei dem Vater, bei Marsilius, aber dort schwebt es in tödlicher Gefahr, und die Freiherrin strebt einen Prozess an, um es in ihre Obhut zu bekommen.«
»Dann erzähle mal«, sagte Tomas und lehnte sich interessiert zurück.
Er war ein geduldiger Zuhörer, aber während Sophie ihm alles Wichtige berichtete – Marx von Mengersen erwähnte sie allerdings nur am Rande, kaum anzunehmen, dass der ehrbare Jurist hier Verständnis hätte –, schaute Tomas immer bedenklicher. Der Herr der Wildenburg hatte sich also eine Hure ins Haus geholt? Welch bedauerliche Brüskierung. Und bei dieser Hure handelte es sich um eine Hexe? Nein, doch nicht? Tomas fixierte Julius, der verhalten protestierte.
»Sie ist ganz ohne Zweifel eine Hexe«, erklärte Sophie fest und berichtete, was im Hexenturm geschehen war und was sie später im Haus ihrer Eltern von Dirk erfahren hatte. Dass auch das Gesinde der Wildenburg von Ediths teuflischem Treiben überzeugt war, veranlasste Tomas zu einem erleichterten Nicken. Eine Ehefrau, die mit ihrem Mann zerstritten war, galt natürlich nicht viel als Zeugin.
»Ich weiß, du wirst es nicht gern hören, Julius, aber das ist ein Fall von Hexerei, wie er deutlicher kaum beschrieben werden kann. Das Kammergericht wurde in letzter Zeit mit Klagen dieser Art überschwemmt. Nach meiner Meinung – und der vieler Kollegen – schwächt der Krieg das Göttliche im Menschen, er zehrt an ihm wie eine Krankheit, und so bereitet er dem Hexenunwesen einen Nährboden. Wir finden kaum noch genügend Personal, die Prozesse zu bearbeiten. Marsilius wird all diese Vorkommnisse bestreiten, wenn ich es
Weitere Kostenlose Bücher