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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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    Julius brachte etwas später einen Apfelbrei, den sie gemeinsam verzehrten, dann machten sich auf den Weg zu Tomas Eythumb, einem Juristen, den Julius aus seiner Universitätszeit kannte und der Sophie in ihrem Prozess vertreten sollte.
    Sie gingen zu Fuß. Ihr Weg führte sie an einem Kanal entlang, auf dem Schiffer Schweinehälften und Brennholz beförderten und an dessen Ufer Mägde fröstelnd die Wäsche über Waschbretter rubbelten. Julius war kurz angebunden. In Gedanken schien er bereits mit dem Prozess beschäftigt zu sein, jedenfalls erklärte er ihr das, als sie fragte. Sie selbst dachte an Marx. Wieder einmal. Julius’ Dienerschaft würde sich um ihn kümmern, dafür hatte Julius ja gesorgt. Und wenn sie selbst geblieben wäre – was Henriettes wegen unmöglich gewesen war –, hätte ihn das auch nicht schneller gesunden lassen, so viel stand fest.
    Sie bemerkte einen jungen Mann, der nur noch ein Bein besaß und den Frauen half, die Wäsche zu wringen, wobei er sich auf ein Holzbein stützte. Und während sie ihn noch mitleidig beobachtete, wurde sie von einer Katze angefallen.
    Es war ein rötliches Tier mit weißen Streifen, das fauchend aus dem Nichts auftauchte und gegen sie sprang. Sophie starrte in ein Gesicht mit einem dreieckigen Gebiss, in dem oben und unten Fangzähne blitzten. Nach der Attacke, die so blitzschnell ablief, dass sie kaum reagieren konnte, jagte die Katze eine kahle Weide hinauf. Sie hatte das Maul immer noch aufgerissen, während sie die Frau, die sie angegriffen hatte, tückisch im Auge behielt.
    »Schon gut«, versuchte Julius Sophie zu beruhigen, und da erst merkte sie, dass sie hysterisch schrie. Julius bückte sich und warf einen Stein auf die Angreiferin. Sie verschwand mit einem Riesensatz hinter einer Hecke.
    »Edith hat sie geschickt«, stammelte Sophie in aufgelöster Gewissheit und klammerte sich an Julius’ Ärmel, während Blut aus einem Kratzer über ihre Hand lief. Hexen und Katzen! Blitzartig tauchte das Bild jener anderen Katze vor ihr auf, die über die Mauer in der Wildenburg stolziert war, als sie mit Gesche den Friedhof aufgesucht hatte. Wusste man nicht, dass Hexen sich besonders gern mit diesen tierischen Missgeburten zusammentaten?
    »Ihr habt sie erschreckt. Sie hatte sich gesonnt, und als sie flüchtete, hat sie Euch gekratzt. Zeigt mal die Hand.«
    Sophie streckte sie ihm entgegen. Die Kratzer waren nicht weiter schlimm, sie bluteten kaum. Trotzdem suchte sie mit klopfendem Herzen den Weg und die Büsche nach der Angreiferin ab. Schließlich entdeckte sie das Tier zwischen den verzweigten Ästen eines Kreuzdorns. Es fauchte sie an – dann war es endgültig verschwunden. Aber Edith weiß jetzt, dass ich hier bin, dachte Sophie. Sie wird sich denken können, aus welchem Grund. Was bedeutete das für Henriette?
    Tomas Eythumb bewohnte ein schmuckes Bürgerhäuschen mit einer steinernen Giebelfront und Blumenkästen an den Fenstern in einem der besten Viertel der Stadt. Er war Assessor beim Reichskammergericht – ein stattlicher Mann um die dreißig mit einem angenehmen Gesicht, liebenswürdigen Manieren, Fingern wie kleine Würste und einer Papageienzucht, die offenbar sein Leben füllte. Nachdem er Julius herzlich und Sophie respektvoll begrüßt hatte, führte er seine Gäste in einen Garten zu einem Häuschen mit ungewöhnlich großen Glasfenstern, wo mehrere Dutzend Papageien auf Stangen saßen oder kreischend zwischen kränkelnden Orangenbäumchen und Kamelien umherflatterten. Ihr Domizil wurde, da sie ja aus dem Süden stammten, mit einem Ofen geheizt, an dessen Eisen Sophie, die ihn ungläubig berührte – ein Ofen für Vögel, man überlege nur! –, sich umgehend die Finger verbrannte.
    Tomas’ Liebling hieß Orlando und war ein Kakadu. Auf seinem Köpfchen spreizte sich eine Federhaube, und um den Hals wand sich eine rosa Halskrause. Er war der Stammvater der Zucht und fähig, fünf der sieben Grundfarben zu benennen, wie Tomas beredsam erklärte. Nur mit Violett und Indigo hatte er Probleme. Vielleicht mochte er die Farben einfach nicht. Leider litt er an Würmern. »Hurtig, hurtig«, krächzte der Vogel und flog auf Tomas’ Arm, um sich von ihm das Gefieder glatt streichen zu lassen.
    Das alles mochte aufregend, ja faszinierend sein, aber Sophie merkte, wie ihr vor Ungeduld übel wurde. Die Kratzwunden – der Gruß von Edith – brannten auf ihrer Hand. »Verzeiht, wenn ich dränge, aber mich führen

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