Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Gehört der Mann der Ordensgemeinschaft der Jesuiten an?«
»In aller Demut, und ich bin hier, um von einem äußerst skandalösen Vorkommnis zu berichten«, erklärte der dicke Pater, während er sich vom Stuhl hochstemmte und vor das Gremium trat. Ohne weitere Aufforderung beschrieb er, wie er aus dem Beichtstuhl gekommen war, nachdem ein lästerlicher Lärm das Gotteshaus erfüllte, und wie er Marsilius gesehen habe, bereit, vor Gottes Antlitz einen Mord zu begehen. Er legte dem Kammerrichter das Kreuz vor, mit dem er Marsilius in die Flucht geschlagen hatte, und es wurde von den Assessoren weitergereicht, die es interessiert beäugten. Die Blicke, mit denen sie Marsilius nun in Augenschein nahmen, waren weit weniger freundlich als zuvor.
»Er ist tatsächlich zurückgewichen«, gab Marsilius’ Advokat, der neben den Pater getreten war, rasch zu. Er war ein Mann mit einer fliehenden Stirn und einer gewaltigen Nase, die seinem Profil die Form eines Dreiecks verlieh. »Die Frage, die sich aber aufwirft, ist: Was bewegte ihn dazu? Ich bitte das Gericht, einen Blick auf meinen Mandanten zu werfen. Marsilius von Palandt – ein rechtschaffener Herrscher seines kleinen Landes, ein treuer Untertan des Grafen von Jülich, vor allem aber ein gehorsamer und eifriger Sohn der heiligen katholischen Kirche, der er seit seiner Geburt angehört. Er heiratet eine junge Dame aus guter Gesellschaft und freut sich auf ein dem Herrn wohlgefälliges Eheleben. Doch was geschieht?«
Der Anwalt legte eine Kunstpause ein. Die Blicke der Richter folgten den seinen zu Sophie. Sie schluckte trocken. »Sein Weib zeigt ein äußerst befremdliches Verhalten. Sie vernachlässigt die Pflichten, die der Haushalt von ihr fordert, sie weist dem Gatten kalt die Tür ihrer Schlafkammer. Und schließlich, als ihre Stunde kommt, entflieht sie der Sorge der Hebamme und ihrer Frauen und begibt sich in die stürmische Nacht hinaus. Herr von Palandt wurde von begreiflichem Zorn ergriffen. Und der Zeuge, den wir dem Gericht als nächsten präsentieren werden …«
»Ist er schriftlich angekündigt worden?«, wollte der Assessor mit der Mützenbrille mürrisch wissen.
»Nun, es handelt sich um den Burgvogt, der das Verhalten der jungen Bergherrin ebenfalls mit Befremden aufnahm. Er wird von einem Erlebnis berichten, das ihn zutiefst verstörte. Von einer Beobachtung, die er in Verbindung mit einem Verbrecher namens Marx von Mengersen machte.«
Sophie sah, wie Julius die Brauen hob. Ärger blitzte in seinen Augen auf. Einen Moment lang las sie darin all seine Frustration über den Mann mit dem goldenen Haar, der ihm das Leben schwermachte.
Marsilius’ Advokat fuhr fort: »Bei diesem Marx, der wegen des Mordes an einem jungen Freiherrn namens Heinrich von Elverfeldt hingerichtet werden sollte, aber dreist vom Richtblock hinweg entfloh …«
»Heinrich von Elverfeldt?«, platzte der Jesuit, der immer noch neben ihm stand, überrascht heraus.
»Wie ich sagte«, bestätigte der Advokat verdutzt.
»Heinrich von Elverfeldt?«
»Das ist der Name.«
»Und er wurde ermordet?«
»Ist dieses Verbrechen dem Kammergericht rechtzeitig zur Kenntnis gebracht worden, da es ja offenbar mit dem Prozess in Verbindung steht? Ich sehe das nicht in meinen Unterlagen«, unterbrach der Assessor mit der Mützenbrille den Wortwechsel.
Sophie starrte zu dem Jesuitenpater. Was für ein seltsamer Zufall, dass er Heinrich kannte.
»Bedauerlicherweise nicht«, murmelte der Kanzleischreiber, der hastig in seinen Papieren blätterte. »Nein, mir liegen keine Auskünfte über das Verbrechen vor – und auch nicht über den Zeugen, der es beobachtet haben will.«
»Das ist eine Unart. Die Parteien hatten ausreichend Zeit, ihre Vorgehensweise zu planen. Was ist das für eine neue Sitte, Zeugen zu präsentieren wie Hühner, die unversehens schlüpfen?« Das Sehutensil des Assessors saß nicht richtig, er nahm die Mütze ab und bog an dem Draht. »Die Verfahrensordnung …«
»Herrgott!«, fuhr Marsilius ihn an. »Nun hört den Mann doch erst mal an. Daran hängt alles! Er wird bezeugen, dass sich mein Weib …«
»Ihr wurdet nicht aufgefordert zu sprechen«, unterbrach der Kammerrichter ihn kühl.
Marsilius hielt es nicht mehr auf dem Stuhl. Er beachtete weder den Versuch seines Advokaten, ihn am Ärmel zu erwischen, noch die drohende Gebärde des Kammerrichters. Wütend stützte er sich mit den Händen auf den Richtertisch. »Was, zur Hölle, soll das hier? Dies hier
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