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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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war.
    Er hielt Henriette ein wenig schräg, so dass das Winterlicht auf ihr schlafendes Gesichtchen fiel. »Wie habt ihr euch überzeugt, dass ihr das richtige Kind bekommt?«
    Sophie lachte auf. »Sieh’s dir an. Es ist Marsilius wie aus dem Gesicht geschnitten.« Sie wartete darauf, dass er ihr zustimmte.
    Er tat es, wenn auch nach kurzem Zögern. »Dir nicht so sehr.«
    »Aber natürlich ist das Henriette!«
    Einige Söldner in bunten, ungewöhnlich sauberen Kleidern ritten in den Hof. Sie schwangen sich aus den Sätteln, riefen nach den Stallburschen, fluchten, als niemand kam, und banden ihre Pferde selbst an die Eisenringe in der Mauer. »Der Krieg entscheidet sich«, bemerkte Marx, der sie beobachtete. »Das Heerlager vor der Stadt hat stündlich Zulauf.«
    »Tatsächlich?« Der Krieg interessierte sie nicht. Sie starrte auf ihr Kind, das immer noch in Marx’ Armen schlief. Warum war Marx keine Ähnlichkeit mit ihr selbst aufgefallen? Weil es keine gibt.
    »Marsilius ist nicht durch die Dörfer gezogen, um in die Betten der Bäuerinnen zu kriechen, das hätte ich gewusst«, sagte Sophie.
    »Dann mach dir keine Gedanken.«
    »Und Edith hat ihm einen Sohn geboren – das hat sie mir selbst gesagt.« In der Nacht, in der sie wollte, dass ich sterbe. Als sie noch vermutete, dass ich einen Sohn zur Welt bringen würde. Und es sie ganz sicher gekränkt hätte, wenn sie selbst nur ein Mädchen vorzuweisen gehabt hätte. Es war nicht mehr nur die Kälte, die Sophie frieren ließ. Langsam hob sie den Kopf. »Sie haben mir das Kind so leichten Herzens überlassen. Dass ich mich nicht gewundert habe!«
    »Sophie …«
    »Sie hätten es doch nicht getan, wenn es Henriette gewesen wäre.«
    »Na ja …«
    »Aber Hexen lieben ihre Kinder nicht. Sie lieben niemanden. Ediths Kind hätten sie mir gegeben.«
    »Immer mit der Ruhe.«
    Das kleine Mädchen öffnete die Augen. Es schaute sie an, reglos verschnürt, das Gesichtchen gerahmt von den Windeln, aus denen Marsilius’ schwarze Locken krochen. Sie ist so hübsch, hatte Irmgard gesagt. Sie war mehr als das: Mit ihrem kleinen, herzförmigen Gesicht und den klaren Augen war sie eine zarte, winzige Schönheit. Sophie sagte, kalt vor Entsetzen: »Henriette ist tot.«
    Marx trat neben sie und legte den freien Arm um ihre Schultern, einen Stellungswechsel, den das Kind mit einem Stirnrunzeln quittierte. »Wenn deine Tochter tot wäre, hätte Marsilius dir mit einem Lachen die Leiche oder den Sarg übergeben. Wenn Ediths Tochter tot wäre, dann hätte er dir ebenfalls eine Leiche überlassen und heimlich gelacht. Sie leben beide, nach meiner Meinung.« Er gab ihr das Kind zurück und blickte in ihre geweiteten Augen. »Was immer du willst, ich tue es, Sophie.«
    Sie bestand darauf, zunächst mit Julius zu sprechen. Das war sie ihm schuldig. Aber sie musste bis zum Abend Mut sammeln, ehe sie sich traute. Der Hauslehrer saß mit Irmgard in dem kleinen Salon, in dem das Feuer brannte. Drei leere Gläser auf dem Tisch bewiesen, dass auch Tomas bei ihnen gewesen, wohl aber schon zu Bett gegangen war.
    Sophie erklärte ihrem Freund, was sie über Henriette … nein, über das Kind oben in der Wiege dachte. Sie sah, wie Julius’ Stirn sich bewölkte. Trauer, aber auch Ärger machten sich in seinem Gesicht breit. Er stand auf und wandte sich zum Fenster, wo er mit dem Rücken zu ihr sagte: »Sophie, wo soll das enden?«
    »Aber …«
    »Nein, warte, lass mich aussprechen. Die Wahrheit ist: Du kannst deine Tochter nicht lieben. Du verabscheutest das arme Geschöpf, seitdem ich es dir in die Arme gelegt habe. Ich hab’s gesehen und sehe es nun Tag für Tag. Deshalb denkst du dir solche Dinge aus. Du willst sie einfach wieder los sein.«
    Jedes seiner Worte traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. »Aber das stimmt doch gar nicht. Wenn es so wäre, hätte ich sie bei Marsilius lassen können.«
    Traurig meinte Julius: »Ich sage ja nicht, dass du dich nicht bemühst. Du willst dein Kind beschützen und deine Pflicht erfüllen – aber lieben kannst du es nicht.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Irmgard, die nicht alles verstanden hatte, aber doch das Wichtigste, sagte scharf: »Du gibst sie aber nicht fort!«
    »Nun, ich …«
    »Wenn jemand fortmuss, dann geh selbst! Geh du!« Irmgard sprang auf, lief zur Wiege und riss Henri…, riss das Kind aus der Wiege. Sie presste es an sich. In ihrem Gesicht vereinte sich die Liebe zu dem Säugling mit ihrer Wut und verzerrte es zu einer

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