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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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hatte sich ja nun zur Genüge herausgestellt. Er musste sich von ihr frei machen. Bevor er den Verstand verlor.
    Müde von den fruchtlosen Grübeleien ging er in die Küche hinab, um seinen Hausverwalter anzuweisen, den Wein nicht weiter zu verwässern. Stockbetrunkene Söldner, die unter den Tischen lagen, kamen ihm weniger gefährlich vor als angetrunkenes Pack. Das Quieken der Schweine malträtierte seine Ohren.
    Erst gegen Mittag kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück. Da die Sonne schien, öffnete er das Fenster, das ihm einen weiten Blick bis über die letzten Häuser des Dorfes und über die anschließenden Felder bot. Obwohl es kalt war, ließ er es offen stehen, während er die Papiere sortierte, die Reinhard von Plettenberch ihm zwischenzeitlich zugesandt hatte und in denen es um Pachtverträge, einen aufsässigen Blechschmied und Reinhards Sorgen um ein ausgelaugtes Stück Land an der Grenze zum Hallinger Forst ging. An dem Zustand des Ackers konnte er nichts ändern, da kannte Reinhard sich weit besser aus. Aber Julius informierte seinen Brotgeber über dessen juristische Rechte, was den Blechschmied anging. Der Mann hatte immer schon Ärger gemacht – ein typischer Querulant, der für mehr als eine Wirtshausschlägerei verantwortlich war. Julius hatte den entsprechenden Brief etwa zur Hälfte aufgesetzt und hob den Kopf, um über eine Formulierung zu sinnen, da sah er weit draußen, wo die weißen Brachfelder auf ein Flüsschen trafen, einen Reiter auf einem Schimmel auftauchen.
    Einen Moment lang setzte sein Herzschlag aus. Er sprang auf, das Tintenfass kippte, und die Tinte ergoss sich über den Brief und das Eichenholz seines Sekretärs. Er nahm es kaum wahr. Sein Blick sog sich an dem Mann fest, der auf sein Haus zustrebte.
    Marx, schon wieder Marx!
    Zornig ballte er die Fäuste – und suchte im selben Moment die Straße nach Sophie ab. Aber vergeblich. Von der kleinen Frau war weit und breit nichts zu sehen. Natürlich konnte Marx sie irgendwo zurückgelassen haben, doch das glaubte Julius nicht. Mit der Intuition eines Liebenden begriff er, dass ihr etwas geschehen sein musste. Wenn die beiden Erfolg gehabt hätten oder auch wenn sie gemeinsam gescheitert wären, wäre sie an Marx’ Seite geblieben.
    Er musste blinzeln. Er weinte nicht, schließlich war er ein gestandener Mann, doch der Kummer machte ihn schwindlig. Dass Marx den leichtsinnigen Versuch, in die Wildenburg einzudringen, überlebt hatte, war nicht verwunderlich. Der Mann war, wie es in der abergläubischen Sprache der Söldner hieß, gegen Kugeln und Klingen gefroren. Aber Sophie war ein verletzliches Menschenkind. Sie mit in die Gefahr zu nehmen hatte geheißen, sie der Vernichtung preiszugeben.
    Julius’ zitternde Hand glitt über die Armillarsphäre. Marx kam also, um ihm zu erklären, dass Sophie tot war. Warum gerade zu ihm? Weil er Trost suchte? Dieser neuerliche Beweis blinder Egozentrik verschlug Julius den Atem. Plötzlich ging ihm auf, wie sehr ihn die Gleichgültigkeit, mit der Marx seinen Ärger wegsteckte, immer gewurmt hatte. Der Mann nahm ihn nicht ernst. Nicht einmal seinen Hass.
    Julius trat dichter ans Fenster und schaute in den Garten, in dem die Spanier das Schwein ausnahmen, das ihren Schießübungen zum Opfer gefallen war. Sie grölten, einer sang, zwei von ihnen schlugen sich. »Was tut ihr dort?«, rief er scharf zu ihnen hinab.
    Die Garde hatte Anweisung, es auf keine Konfrontation ankommen zu lassen, das wusste er. Es waren erfahrene Söldner, die ihre Herren während der Schlacht schützten, und man wollte vor dem eventuellen Kampf gegen die Schweden keine Verwundungen riskieren. Aber wer dachte im Suff an Befehle? Die bunt gekleideten Männer mit ihren geschlitzten Wämsern und den abenteuerlichen Hüten schauten zum Fenster. Es war, als wären sie froh, endlich ein Ziel für ihre Frustration gefunden zu haben. Spanische Satzfetzen, die er nicht übersetzen konnte, drangen zu ihm herauf. Doch er war nicht greifbar. Dass sie besser nicht ins Haus gingen, wo ihre Offiziere inzwischen über Taktiken und Truppenstärken diskutierten, war ihnen immerhin noch klar.
    »Das Schwein wird bezahlt. Ich werde dafür sorgen, dass dieser Diebstahl geahndet wird.«
    »Das Land ernährt den Krieg!«, brüllte einer der Spanier in schlechtem Deutsch den Leitspruch der Söldner zu ihm hinauf.
    »Aber kein Diebesgesindel!« Julius zog sich vom Fenster zurück, allerdings so, dass er immer noch den Hof im Auge hatte. Er

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