Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Beweis taugen. Er brauchte mehr, wenn er Sophie helfen wollte. Eile war geboten – und ebenso Umsicht. Er verließ das Kloster und wartete am Ende einer kahlen Allee auf die Mägde, die möglicherweise abends vom Kloster in ihre eigenen Hütten heimkehren würden. Ihm war klar, dass er jemanden aushorchen musste.
Leider kam niemand. Vielleicht zog das Kloster es in diesen kriegerischen Zeiten vor, möglichst viel Gesinde in den Mauern zu behalten. Mit dem Untergang der Sonne wurde es noch einmal spürbar kälter. Julius war bereits kurz davor, erneut an die Pforte zu pochen, als sich das Tor öffnete und ein Mann mittleren Alters das Kloster verließ. Er ging gebückt und sah müde aus. Julius sprach ihn an.
Natürlich habe Valerie bei den Zisterzienserinnen gelebt. Ein liebes Mädel, immer freundlich, nie von oben herab, erklärte der Mann, der seinen Hut in den Händen drehte und nicht recht wusste, was er von dem Frager halten sollte. Julius lächelte ihm beruhigend zu, und er taute auf. Valerie kam aus einer wohlhabenden Bauernfamilie. Als sie schwanger wurde, hatte man sie davongejagt, und ihr Schicksal hatte ihn – er schlachtete das Vieh für die Klosterküche – berührt, obwohl sie natürlich schwer gesündigt hatte. Aber darunter musste sie selbst am meisten gelitten haben, denn sie war von tiefer Frömmigkeit gewesen, weshalb man sie ja auch in den Orden aufgenommen hatte. Er hatte sie bereits gekannt, als sie noch bei ihren Eltern lebte. Schon damals war ihm ihr liebevolles und ernsthaftes Wesen aufgefallen. Ein Menschenkind, dem die Herzen zuflogen und das gewiss auch von den Englein geliebt wurde. »Ich würde mein letztes Hemd drauf verwetten, dass es Notzucht war«, sagte der Fleischer. »Aber die Schwestern haben wohl um den Ruf des Klosters gefürchtet. Jedenfalls haben sie sie noch am selben Tag davongejagt.« Er wusste, dass sie nach dem schändlichen Vorfall zu ihren Eltern zurückgekehrt war, und nannte den Namen des Dorfes, aus dem Valerie stammte. Blumenfeld. Es lag gar nicht weit entfernt.
Julius übernachtete bei einem Müller, wo er kein Auge zutat, weil ihm der Mann mit seinem allzu gefälligen Gehabe unheimlich war. Sobald der Tag anbrach, machte er sich wieder auf den Weg und stand schon eine Stunde später – inmitten eines Schneesturms, der ihm den Atem gefrieren ließ – vor dem Haus, in dem Heinrichs schöne Nonne aufgewachsen war. Kleine Fenster mit grünen Läden, die wegen des Sturms geschlossen waren, schmückten die Fassaden. Ein fantasievoll angelegter Garten ließ auf aufgeweckte, dem Leben zugewandte Bewohner schließen. Das Dach war mit Ziegeln aus Schiefer gedeckt. Ein Bettelkind war Valerie also nicht gewesen. Er klopfte.
Der Hausherr bat ihn hinein und gemeinsam mit seiner Ehefrau hörte er sich an, was sein Gast über Heinrich zu sagen hatte. Natürlich waren die beiden schlecht auf den Jungen zu sprechen. »Nein«, sagte die Mutter. »Körperliche Gewalt hat er ihr nicht angetan. Aber er hat sie mit seinen Liebesschwüren geblendet. Und das, obwohl er wusste, dass sie die Braut Christi war.«
Die Eltern begriffen es immer noch nicht. Valerie war fromm gewesen, seit sie auf den kleinen Knien zur Jungfrau beten konnte. Nie hatte sie einen anderen Wunsch gehabt, als Nonne zu werden. Das Kloster war die Erfüllung all ihrer Sehnsüchte gewesen. Wie hatte Heinrich sie von diesem gottgefälligen Weg abbringen können?
Julius’ Einwand, dass Heinrich das Mädchen aufrichtig geliebt habe und sie ehelichen wollte, klang fade. Es spielte auch keine Rolle mehr, denn Valerie war ja tot. Nein, nicht im geistigen Sinne. Sie war tatsächlich gestorben, und das war das Beste, was ihr nach ihrem Vergehen widerfahren konnte. Ihr Vater bat Julius schroff zu gehen.
Aber die Mutter war, wie in den meisten Familien, weicher. Sie folgte Julius zu seinem Pferd und führte ihn durch das Schneegestöber auf den Dorffriedhof, wo in einem Winkel neben der Kapelle Valeries Grab lag.
»Das Kind ist zwei Monate nach ihr gestorben. Wir haben es zu ihr gelegt. Ich habe darauf bestanden, denn das Würmchen trug ja keine Schuld an der Torheit der Eltern«, meinte die Frau großzügig. Sie wischte die Tränen aus dem Gesicht, ihr Atem stieg weiß in die Luft. Sie war eine mehr als hübsche Frau mit zimtbraunen Augen, in denen Wärme und Herzlichkeit lagen. Wenn Valerie ihr geglichen hatte, konnte Julius begreifen, warum Heinrich sich in den Irrsinn dieser Liebe gestürzt
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