Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Antwort schuldig. Stattdessen breitete er vor Julius aus, was er über Heinrichs Tod, über Marsilius’ Verwicklung darin, über Conrad und über die Nonne, die angeblich die Ursache all des Unglücks war, herausgefunden hatte. Es klang … lächerlich. Er hat sich die Wahrheit immer so zurechtgestutzt, dass sie ihm nützt, dachte Julius. Wenn das alles wirklich stattgefunden hätte, wüsste ich Bescheid. Aber noch während er diesem Gedanken nachhing, wusste er, dass er sich ebenfalls belog. Heinrich hatte sie alle an der Nase herumgeführt.
Im Hof begannen die Soldaten, das Schwein auszunehmen. Das warme Blut taute den Schnee. Die Eingeweide flogen in einen Eimer. Er sollte sich um sein Eigentum kümmern, statt auf Marx’ Sirenengesang hereinzufallen.
»Kümmerst du dich darum? Suchst du Valerie auf? Und gehst du anschließend mit ihr zum Gericht?«, fragte Marx.
Julius zuckte mit den Schultern.
»Weißt du, was dir helfen würde?«, hörte er die Stimme in seinem Rücken spötteln. »Komm her und schlag endlich zu. Du glaubst nicht, wie das befreit.«
Julius drehte sich um. »Warum machst du dich nicht selbst auf den Weg zum Kloster, wenn das, was du sagst, stimmt?«
»Weil ich zur Wildenburg muss.«
»Ach. Es geht also – wieder einmal – nur darum, mich loszuwerden.«
»Sei kein Idiot. Du sitzt hier doch sowieso nur rum wie das Murmeltier im Winterschlaf. Es geht …« Marx verstummte. Als Julius sich umdrehte, sah er, dass der blonde Mann sich aufstemmte. Marx presste die Hand gegen die Rippen und hatte – zu Julius’ Befriedigung – doch wohl mehr als nur ein wenig Schmerz auszuhalten, als er zu ihm ans Fenster humpelte. Sein Blick verweilte bei dem Schimmel, dessen Kadaver zum Schweinestall gezogen worden war, wo die Männer ihn als nächsten ausnehmen würden. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. Der Schimmel hatte ihn durch sämtliche Schlachten getragen. Na ja, so war das Leben eben.
»Ich bin nach meiner Flucht zweimal in die Burg zurück«, sagte Marx und kehrte dem Hof den Rücken. »Marsilius wird jetzt auf mich warten. Er ist auf der Hut wie nie zuvor. Ein drittes Mal schaff ich’s nicht hinein.«
»Und warum willst du trotzdem zur Wildenburg?«
»Um dort zu sein. Julius …«
»Was denn?«, fragte der Hauslehrer hitzig.
»Ich würde selbst versuchen, die Gerichte mit Valeries Hilfe zu überzeugen. Aber du weißt – sie ließen mich gar nicht zu Worte kommen.«
»Alles egal. Es fehlen handfeste Beweise.«
»Dann beschaffe sie.«
»Und warum sollte ich das tun?«
»Du schlägst ja doch zu«, sagte Marx, während er wieder nach draußen blickte.
»Bitte?« Julius runzelte ärgerlich die Stirn. Einer der Soldaten trat mit dem Fuß gegen den weißen Leib des Schimmels und zog aus dem umfangreichen Waffenarsenal, das er auf einem Holzblock ausgebreitet hatte, ein Messer hervor. Er machte einen kräftigen Schnitt. Das warme Blut fraß den Schnee.
»Julius – ich bitte dich …«
Er versuchte, seinen Groll zu bewahren und sich einzureden, dass er sich nur auf den Weg machte, um seine Schuldigkeit als Christ zu tun. Denn dass Sophie das Opfer eines Komplotts war, davon war er ja überzeugt. Aber als er das kleine Kloster, in dem die Zisterzienserinnen wohnten, erreichte und auf die abweisenden grauen Mauern starrte, wurde ihm klar: Er würde alles tun, um Sophie zu helfen, und zwar weil er sie liebte. Und ob sie ihn ebenfalls liebte, spielte dabei keine Rolle. Nach diesem Eingeständnis war ihm, als fiele eine Last von ihm ab. Kraftvoll pochte er an das Fensterchen der Pförtnerin.
Die Nonne rief eine ihr Mitschwestern herbei, und die beiden entschieden, dass sie ihn nicht zur Äbtissin vorlassen würden. Für ihn war das der erste Hinweis darauf, dass Marx’ Vermutung stimmte. Als er hartnäckig auf einem Gespräch beharrte, geleitete man ihn nach langen Rücksprachen schließlich über das winterfriedliche Klostergelände ins Offizium.
Die Äbtissin war noch jung. Sie entstammte einem der örtlichen Adelsgeschlechter und war, wenn auch nicht von überragender Geburt, so doch selbstsicher. Ohne Umschweife erklärte sie ihm, dass es in ihrem Kloster niemals eine Nonne namens Valerie von Krenckell gegeben habe und dass er sich mit diesem Bescheid zufriedengeben müsse. Allerdings war sie eine dilettantische Lügnerin und errötete bis zu den Haarwurzeln. Damit wurde seine Ahnung zur Gewissheit.
Aber natürlich würde sein Eindruck vor keinem Gericht als
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