Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
diesem Weib entblößen! Eher in einem Raum voller Spinnen. Edith schien es nicht eilig zu haben, ihr Vorhaben durchzusetzen. »Wie geht es meiner Tochter?«, fragte sie mit ihrem graziösen Lächeln.
Wahrscheinlich vorzüglich. Irmgard hatte das Kind ins Herz geschlossen. Sie war ein guter Mensch. Vielleicht schaffte sie es sogar durch ihre Fürsorge und Gebete, das Kind zu retten. Es war ja nicht von Luzifer selbst gezeugt worden, sondern von der Hexe und Marsilius – also nicht wirklich ein Teufelsbalg. Sophie merkte, dass Edith auf Antwort wartete. Sie presste die Lippen zusammen.
Gemächlich umrundete die Hexe den Bottich. Sophie fehlte nach den vielen Tagen im Verlies die Kraft, vor ihr zu flüchten. Sie musste es dulden, dass Edith ihr die Kleider herabriss und sie in den Bottich stieß. Stumm begann sie sich mit einem Lappen, der im Badewasser schwamm, abzureiben, bevor die Hexe auf den Gedanken kam, es selbst zu tun. Ihr war, als würde sie mit jedem Handgriff schmutziger. Endlich stand sie wieder auf festem Boden. Sie trocknete sich ab, schlüpfte in das Kleid, das Eva ihr reichte, und knöpfte hastig das Mieder zu.
»Du wirst hier warten, bis man dich holt. Gib acht, dass du nicht ins Loch stürzt und dir vorher den Hals brichst«, sagte die Hexe in einem Tonfall, als wäre gerade das ihr größter Wunsch.
»Halt! Was stand in dem Brief?«
Sophie hatte nicht erwartet, dass Edith reagieren würde, aber nach kurzem Zögern drehte sie sich wieder um.
»Hat das blonde Schwein dir also davon erzählt.« In ihren Augen glitzerte es: Offenbar drängte es sie, mit ihren Ränken zu prahlen. Ohne darauf zu achten, ob die Gefangene ihr folgte, ging sie in den Raum, in dem die Foltergeräte aufbewahrt wurden. Sophies Mund wurde trocken, als sie das Zimmerchen betrat und die Gerätschaften sah, die an den Wänden hingen oder ordentlich sortiert in Regalen lagen: Schrauben, Ketten, spitze Gegenstände, ein Hammer, eine Winde, die an der Decke befestigt war … Sie zwang sich, den Blick abzuwenden und zu Edith zu schauen.
Die Hexe lockerte einen Stein im Gemäuer. Und da war er, der Brief. Ein doppelte gefaltetes Stück Papier, an einem Rand bräunlich verfärbt, wo es vielleicht von Heinrichs Blut getränkt worden war. Bis auf diese verfärbte und zerknitterte Ecke schien der Brief unversehrt.
»Ja, Sophie, da ist es – das Papier, das alles aufklären könnte«, meinte Edith mit einem feinen Lächeln. Sie wedelte kurz damit, dann legte sie es auf einen Holzklotz. Ein rotes, zerbrochenes Siegel klaffte zwischen den beiden Schnittflächen. Obwohl das Licht schlecht war, erkannte Sophie darauf Teile eines Bootes, und als sie den Brief aufnahm – Edith widersprach erstaunlicherweise nicht, vielleicht wollte sie es sogar –, einen Fischer und ein Netz. Sophie war eine in geistlichen Dingen unterwiesene Frau und dachte natürlich sofort an Petrus, den Apostel aus Nazareth. Ungeschickt entfaltete sie den Brief und hielt ihn so ans Licht, dass sie ihn lesen konnte. Oder hätte lesen können, wenn sie der lateinischen Sprache mächtig gewesen wäre. Denn die Worte, die dort in gestochen regelmäßigen Buchstaben standen, waren allesamt lateinisch.
»Wie ärgerlich, nicht wahr, Sophie? Marsilius hat mir den Inhalt übersetzt. Obwohl er ihn natürlich schon vorher kannte. Sonst hätte er sich auf die ganze Sache ja nicht eingelassen.«
»Welche Sache?«
»Marx hat ebenfalls versucht, ihn zu lesen, aber er hat’s nicht geschafft. Was hat er gezittert …«
Immer noch starrte Sophie auf das Papier. Sie konnte zwar die Wörter nicht verstehen, aber im Gegensatz zu Edith konnte sie Buchstaben lesen. Und einiges begriff sie dann doch. Zum einen die Namen: Heinrich von Elverfeldt … Valerie … Dann Wörter: pater – Vater … natus – geboren … infans – Kind … p. m. s. l. … Die vier Buchstaben sagten ihr nichts, aber sie kamen ihr wichtig vor. Also prägte sie sich das Kürzel ein.
Edith streckte die Hand aus. Urban merkte Sophie sich noch rasch: Der Name des Heiligen Vaters stand über dem Boot. Was hatte das für eine Bedeutung? Kam der Brief aus dem Offizium des Heiligen Vaters? Sie hatte geglaubt, Edith würde das Papier in sein Versteck zurücklegen. Daher war sie völlig überrascht, als die Hexe es in die Flamme der Lampe hielt. Es flackerte auf und brannte sofort lichterloh. Mit einem Lachen ließ Edith die kleine Fackel zu Boden gleiten. Einige Strohhalme, die dort lagen,
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