Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
ist der einzige Mann, den Marsilius um sich duldet. Und die Hexe natürlich. Sie teilt immer noch sein Bett.«
Wie stark musste ihr unheilvoller Liebeszauber sein! »Warte.«
Dirk hielt noch einmal inne.
»Kommt es wirklich zum Prozess gegen mich?«
»Sobald der Herr wieder auf den Beinen ist.«
»Wer wird gegen mich aussagen?«
Er nannte die Namen. Edith, Eva, Josepha und noch jemand namens Marie. Es gab so viele Maries. Sprach er von der dicken Frau, die nach einem Unfall nicht mehr laufen konnte und die Schafswolle verspann? Es war egal. »Eva ist mir zugetan«, brachte Sophie hastig hervor. »Vielleicht kann man sie überzeugen …«
Sie verstummte, als Dirk rau auflachte. »Das Kind ist völlig verdorben, Herrin. Immer schon gewesen. Sie ist so berechnend wie der Gottseibeiuns. Denkt Ihr, es war ein Zufall, dass sie auf die Brücke kam und von Edith geohrfeigt wurde? Die beiden hatten das geplant – und Ihr habt das Mädchen arglos wie ein Lamm in Eure Kammer geholt und damit der Spionin den Weg geebnet. Edith und Eva stehen einander in nichts nach, was ihre Bosheit angeht, und ich bin überzeugt, dass die alte Hexe der jungen das Handwerk längst beigebracht hat. Ziehen sie sich nicht immer Nachwuchs heran?«
Erschüttert fragte Sophie: »Aber warum hast du mich nicht gewarnt?«
Dirk packte ärgerlich die Strickleiter. Hatte sie immer noch nicht begriffen? Seine Söhne!
»Was ist mit Christine geschehen, meiner Schwester? Bitte – nur noch das.«
Ein letztes Mal schenkte ihr Dirk seine Aufmerksamkeit. »Der Herr ist über sie hergefallen, um Euch und Eure Familie zu strafen. Es war nicht zu verhindern, er war im Zustand der Raserei. Er hat das Kind gegen einen Bettpfosten geschlagen. Ich weiß nicht, ob es starb – als wir gingen, lebte es noch. Eure Schwester konnte sich losreißen. Sie ist aus dem Fenster gesprungen und unglücklich auf den Boden aufgeschlagen. Ihr Tod ist gewiss.«
Sophie sackte in sich zusammen. Sie wiegte Henriette, die den Daumen ihrer Mutter erwischt hatte und eifrig daran saugte. Die Falltür klappte zu, und es wurde wieder dunkel.
Behutsam drückte sie ihr Kind an sich. Es roch süß. Seine Lippen waren zart und feucht, die Wangen samten wie Seifenwasser. Ja, doch, es wurde gut versorgt. Ihr Herz wurde weich, während sie gleichzeitig neue Furcht ergriff. Für sich selbst konnte sie nichts mehr tun, aber sie musste Marsilius dazu bringen, die Kleine zu beschützen. Nichts anderes zählte mehr! Während sie ihr Töchterchen liebkoste, begann Sophie im Kopf Sätze zu formen, die ihn überzeugen sollten.
Einige Stunden später holte Dirk Henriette wieder ab.
Und dann kam Edith. Sophie hatte sich so sehr daran gewöhnt, in der Falltür die Gestalt des Burgvogts auftauchen zu sehen, dass sie zunächst gar nicht hinschaute. Umso mehr erschrak sie, als sie das erheiterte Lachen hörte. Die Hexe schwenkte spöttisch ihre Fackel. »Komm rauf!« Die Strickleiter fiel herab und baumelte über dem Felsboden.
Auf keinen Fall, dachte Sophie, aber das Licht zog sie magisch an. Dunkelheit war furchtbar. Mit einem Mal meinte sie, keinen Augenblick länger ertragen zu können.
»Komm oder verrotte.«
Die Strickleiter baumelte vor Sophies Augen. Verrotten – ja, genau das war es, was sie tat, seit sie hier war. Sie verrottete. Was mochte Edith vorhaben? War vielleicht Marsilius gestorben und sie wollte ihre Rivalin nun ebenfalls töten, bevor die Burg von jemandem übernommen wurde, über den sie keine Macht hatte?
Es war gleich. Sophie raffte sich auf und griff nach den Stricken. Sie hatte Mühe, die schwankende Leiter zu erklimmen. Alles drehte sich um sie. Es war widerlich, aber sie musste es dulden, dass Edith ihr aus dem Loch auf den Boden half. Mit einem unterdrückten Ekellaut flüchtete sie in eine Ecke. Ihre Augen schmerzten von der Helligkeit. Sie kniff sie zusammen und versuchte, Edith dennoch im Auge zu behalten.
Die Hexe ging zu einem Holzbottich, der dort stand, wo sich früher der Altar mit dem schwarzen Tuch und dem Tierschädel befunden hatte. Das Behältnis war zur Hälfte mit Wasser gefüllt.
»Was soll das?«
Edith stützte die Hände auf den Bottichrand. »Dein Eheherr wünscht, dass du sauber bist, wenn du zum ersten Verhör erscheinst. Es soll nicht heißen, in dieser Burg fände ein Rachefeldzug statt. Und deshalb wirst du baden. Denn anders würde man den Dreck wohl kaum runterbekommen.«
Sophie schüttelte den Kopf. Niemals würde sie sich vor
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