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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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Nähe. Vielleicht kennst du ihn. Er ist von Schwarzerlen umstanden«, erklärte Edith so heiter, als plauderte sie über Kochrezepte. »Sollte das hässliche Monstrum, das sich mir in den Weg gestellt hat, überhaupt wieder auftauchen, dann wird man es dort finden. Die Leute werden sich bekreuzigen, weil es da, wo sie in den Sträuchern hängt, keine Fußspuren geben wird, und die Torwächter werden schwören, dass sie die Burg nie verlassen hat.«
    »Und ich werde sagen, dass du sie umgebracht hast. Du hast verloren, Edith. Gleich sind die Männer hier.«
    »Bist du sicher?«
    Natürlich … natürlich … natürlich … wollte Sophie schreien, aber sie brachte kein Wort heraus. Hatte Edith Eva so weit verhext, dass sie willenlos und ohne Erinnerung durch die Burg lief? Die Hexe kam näher. Sie folgte Sophie mit jedem Schritt, den diese zurückwich. Beide hielten sich an die Wand des Raumes. Es war, als tanzten sie miteinander um den Tisch mit den schwarzen Kerzen. Was hatte Edith vor? Sophie spürte, wir ihr Leib sich erneut zusammenzog. Sie biss die Zähne zusammen. »Wenn du mir etwas antust, wenn mein Sohn stirbt, wird Marsilius kein Erbarmen kennen.«
    »Dein Sohn?«, spuckte Edith verächtlich. »Ich glaube, du hast das alles noch gar nicht begriffen. Marsilius’ Sohn wurde bereits geboren.« Sie klopfte auf ihren Bauch.
    Was meinte sie? Sophie starrte auf die schmale Taille unter dem schwarzen Gürtel. Und schlagartig begriff sie: Das also war der Grund für Ediths lange Abwesenheit. Das Satansweib musste selbst ein Kind geboren haben. Natürlich. Edith war von Marsilius schwanger geworden, vielleicht in derselben Nacht wie sie selbst. In der Hochzeitsnacht hatte sich Marsilius’ Samen in beide Frauen ergossen. Aber was plante die Hexe? Da sie sich so lange aus der Burg ferngehalten hatte, wollte sie offenbar verhindern, dass jemand von ihrem eigenen Kind erfuhr. Sollte es mit Sophies Säugling vertauscht werden? Nur … das ging doch gar nicht. Drüben im Wohnturm wartete eine Hebamme, die Sophie bei der Geburt beistehen und Marsilius sein Kind in die Arme legen würde.
    Es war, als könnte Edith Sophies Gedanken lesen. »Marsilius will einen Erben«, erklärte sie spröde. »Wer ihm den Sohn schenkt, ist ihm egal.«
    »Er würde niemals einen Hexenbalg anerkennen.«
    Edith zischte, als sie das Wort hörte, und rieb die schlanken Finger an den Hüften. Sophie war jetzt ihrerseits bei der Gittertür angelangt und sah mit einem flüchtigen Blick, dass sich an den runden Raum ein zweiter, eckiger anschloss. Zangen … ein Stuhl, aus dessen Sitzfläche Nägel ragten – dort wurden die Foltergeräte aufbewahrt.
    Rasch wandte sie die Augen ab. Wo bleibt Eva? »Er weidet mich auf einer grünen Aue …«, begann sie zu beten. »Er führet mich zu frischem Wasser …« In diesem Moment kehrte der Schmerz in ihren Leisten zurück. Er war so heftig und kam so plötzlich, dass sie nicht mehr auf das Angstloch achtete.
    Sie stolperte.
    Dass sie nicht in den Tod stürzte, war reines Glück. Sie bekam die Strickleiter zu fassen und rutschte mit brennenden Händen zum Felsboden hinab. Als sie aufschlug, wurde ihr die Leiter nachgeworfen. Die Stricke ergossen sich über ihren Körper, und Ediths Gelächter füllte die unterirdische Höhle. »Verrecke! Verreck endlich, du erbärmliches Stück Scheiße!«
    Es gab einen Knall, als die Falltür zuschlug. Sophie stöhnte leise. Der Schmerz des Sturzes ließ mit der Zeit nach, aber das Kind trat sie, als hätte es die Todesgefahr gespürt. Sie nahm eine der Kerzen auf und hielt sie in den Händen wie ein Amulett. Ihr Kleid spannte über dem dicken, harten Bauch. Undeutlich hörte sie Edith rumoren. Dann verklang auch dieses Geräusch.
    Die Zeit verrann, und irgendwann gestand Sophie sich ein, dass sie auf keine Hilfe hoffen konnte. Eva war davongelaufen – aber nicht zum Gesinde. Die Hexe hatte das Mädchen vollkommen unter ihrer Gewalt. Besorgt schaute Sophie auf das Wasser. Wurde das Rinnsal breiter? Der trockene Platz, auf dem sie hockte, schien kleiner geworden zu sein. Sie vermied es, zu Gesche zu blicken. Der Anblick war zu entsetzlich. Sie würde einfach abwarten. Die Hebamme würde sie schon bald vermissen und Marsilius informieren, und er würde eine Suchaktion befehlen, und wahrscheinlich ahnte er dann, wo er nachschauen musste.
    Dieser Gedanke beruhigte sie kurz, aber dann ging ihr auf, dass sie unterschätzt hatte, wie rasch der Wasserpegel stieg. Sie

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