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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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brach ab. Herrgott, starb sie? Sie hatte die Augen aufgeschlagen, die in dem bleichen Gesicht wie schwarze Murmeln aussahen, und fauchte ihn an: »Nimm die dreckigen Finger weg!«
    »Was?«
    »Es ist meins.«
    Er ging neben ihr in die Hocke. »Hör zu, mein Name ist …«
    »Es ist meins.«
    Wovon redete sie? Von dem Kind? »Natürlich ist es deins«, versicherte er ihr. Was denn sonst! Das Haar hing ihr ins Gesicht. Sie zitterte vor Kälte. Das nasse Kleid klebte an ihrem Körper und formte ihn in allen Einzelheiten nach. »Hör zu, du brauchst ein Plätzchen, wo es trockener ist als hier, damit das Kleine wohlbehalten zur Welt kommen kann«, versuchte er ihr ruhig und vernünftig zu erklären. Die Frau stierte ihn an wie einen Geist. Er ahnte, dass sie jeden Moment von neuem zu heulen beginnen würde. Und da geschah es auch schon. Sie krümmte sich und kreischte: »Die Hexe!«
    »Eine Hexe?«, fragte er verständnislos.
    »Die Hexe, die … Auuu …«
    »Kannst du aufstehen? Ich kann dich nicht tragen, vor allem, wenn du …«
    »Auuauu …«
    »… wenn du so zappelst und …«
    »… sticht in das Bild«, kreischte die Frau.
    »Was?«
    »Sie sticht in das Bild. Sie sticht mich … oh … o nein …«
    Julius seufzte. Er packte erneut zu und schleifte die Frau durch das Gras, während sie sich in seinen Händen wand. Ihre Füße – an einem befand sich noch ein grüner, völlig verdreckter Schuh – zogen Rillen im Unkraut. Hölle, hatte sie ein Gewicht! Auf halbem Weg rutschte sie ihm aus den Händen. Sie biss ihn wie ein Tier, als er erneut zufassen wollte. »Sie ist tot!«, kreischte sie.
    »Wer, Herrgott noch mal?«
    »… hat mich gewarnt. Und nun … Aaaaaah …«
    O lieber Jesus. Julius hätte ein Jahr seines Lebens gegeben, um eine Hebamme herbeizaubern zu können. Noch nie im Leben hatte er sich so unzulänglich gefühlt.
    »Gesche ist tot.« Ein Blick voller Jammer.
    »Das tut mir leid«, erwiderte Julius, ohne etwas zu begreifen.
    »Sie sticht mich.«
    »Dann zum Teufel mit ihr!«
    »Aaaaah …«
    Sein Blick glitt über das Kleid der Gebärenden, das schmutzig und zerrissen war, aber aus teurem Stoff. Offenbar kam sie aus gutem Haus. War ihr Kind unehelich? Hatte man sie deshalb davongejagt? Aber wer war tot? Ihre Magd? Handelte es sich bei der werdenden Mutter um das Opfer eines Überfalls?
    Sie jammerte, aber nicht mehr so laut wie zuvor. Offenbar klang die Wehe gerade ab – wie auch immer man sich das vorzustellen hatte. Julius nutzte den Moment und schleifte die Frau zur Kuhle. Die letzten Meter trat sie gegen den Boden und machte die Plackerei zu einem wahren Kraftakt. Ihr Weinen ging ihm durch Mark und Knochen, und die unnatürliche Blässe ihres Gesichtes machte ihm Angst.
    Endlich hatte er sie unter dem schützenden Wurzeldach. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus und biss ihn erneut. Gleich darauf entschuldigte sie sich – und krallte sich in seinen Arm, was mindestens ebenso schmerzte. Er kauerte sich neben sie ins Moos, überließ ihr den Arm und hoffte auf eine Eingebung. Wie war er nur in diese Lage geraten?
    Ein Blick zum Himmel zeigte ihm, dass es immer noch früher Morgen war. Kaum anzunehmen, dass jemand den einsamen Weg entlangkam. »Ihr habt es bald geschafft«, versicherte er der Frau, als sie einen Moment still lag.
    »Das weißt du doch gar nicht.« Ihre Lippe blutete. In den Augen waren Äderchen geplatzt.
    »Soll ich jemanden holen?«
    »Was? O … nein, nein bitte … bleib!« Sie rollte sich in seinen Schoß und klammerte sich an ihm fest. Ihr Bauch lagerte auf seinem linken Bein. Als er ihr die Haare aus dem Gesicht strich, fühlte er, dass ihr Kopf heiß war. War es normal, dass Gebärende fieberten? Verflucht, wenn er doch mehr wüsste. Das Mädchen sah kämpferisch aus, trotz seiner Tränen. In ihren Augen glühte es. Sie wollte sich durchbeißen. Davor hatte er Respekt.
    »Mach Wasser heiß …«, stieß sie in einer Wehenpause hervor.
    »Was?«
    »Wir brauchen heißes Wasser. Weißt du denn gar nichts. Wir … Ooooo …«
    »Wozu heißes Wasser?«
    »Weiß nicht.« Die Schmerzen schnitten wieder durch ihren Körper. »Weiß ich nicht. Weiß ich doch … O Jesus … Dummkopf!« Ihr Kreischen verursachte ihm Übelkeit. War Gott bewusst gewesen, was er seinen Töchtern antat, als er sie dazu verdammte, ihre Kinder unter Schmerzen zu gebären? Hatte er wirklich dieses erbarmungswürdige Ausmaß geplant?
    »Sie sticht mich mit der

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