Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
anschickte, das Fest zu verlassen. Aber ich wusste das selbst. Sie hatte es mir ja schon vorher erklärt.«
Er ahnte, was kommen würde. Ihr Mann war zu ihr ins Bett gestiegen, und das hatte ihr Schamgefühl verletzt, und vielleicht hatte der Trottel von Ehemann ihr auch noch weh getan, als er sich sein Recht verschaffte. Nur wollte Julius sich das nicht anhören. Irgendwann würde es ihr leidtun, ihr Unglück vor einem Wildfremden ausgebreitet zu haben. »Hört, bitte …«
»Ich dachte, es wäre eine Magd.«
»Was?«
»Sie stand am Bett. Der Raum war fast dunkel. Es war ja Winter, nicht wahr? Sie stand am Bett und hatte ein feurig rotes Kleid an, aber ihre Brüste waren nackt.«
Der Säugling begann zu greinen, und Julius wiegte ihn beruhigend.
»Meinem Ehemann hat es gefallen, eine Hexe in unsere Schlafkammer zu holen. Er hat uns beide ins Bett gezogen und sich zwischen uns gelegt und seinen Samen in unseren Leibern verteilt, und die Hexe hat dazu gemurmelt und Dinge gemacht, die ich nicht sehen konnte. Nein, ich wollte sie nicht sehen«, gab sie mit schwerem Atmen zu, als wäre er ihr Beichtvater, vor dem sie keine Geheimnisse haben durfte. »Ich wollte ihr Gelächter nicht hören und was sie sagte und … Ich wollte das nicht.« Sie leckte über ihre Lippen. »Aber jetzt weiß ich, dass Marsilius in dieser Nacht zwei Söhne … nein, einen Sohn und eine Tochter gezeugt hat. Und das Kind in meinem Leib wurde verflucht durch die Hexe, die auf seiner anderen Seite lag.« Sie schaute ihn zum ersten Mal direkt an. »Heut, als es geboren wurde, hat es mir den Unterleib zerrissen. Ich hatte noch nie solche Schmerzen. Sie hat es in dieser Nacht dazu verdammt, mir Unglück zu bringen.«
»Aber nicht doch.« Julius blickte in das zerknautschte kleine Gesicht, in dem ein rekelndes Staunen lag. Ihm zog sich der Magen zusammen. Kaum zur Welt gekommen, und schon war das Kind in ein Geflecht aus Aberglauben und Schuld. »Geburten sind schwierig und schmerzhaft, das hat nichts zu sagen.«
Sie schwieg.
»Und wenn Euer Ehemann Euch tatsächlich in der Art beschämte, die Ihr geschildert habt, dann ist das scheußlich, aber es hat nichts mit Hexerei zu tun. Nur mit menschlicher Gemeinheit.« Er wusste, wovon er sprach. Bevor er ins Gut Herbede gezogen war, hatte er als Jurist an der Kölner Universität gearbeitet. Diese Position hatte es mit sich gebracht, dass er mehrere Male an Hexenprozessen teilnehmen musste. Sein glühender Abscheu gegen das böse Gelichter hatte sich allerdings rasch in Ratlosigkeit verwandelt, denn er erkannte, dass die meisten Geständnisse und Selbstbezichtigungen auf die Folter zurückzuführen waren. Vielleicht war er befangen, aber es erschien ihm unwahrscheinlich, dass die Hure im Bett des Freiherrn eine Hexe gewesen war.
Es war, als hätte die Frau seine Gedanken gelesen. »Niemand wird mir glauben«, murmelte sie.
Julius stellte fest, dass der Säugling ihm das geliehene Hosenbein durchnässt und außerdem eine schwarze Masse in den Stoff gekackt hatte. Er legte ihn neben seiner Mutter ab und kletterte aus der Kuhle hinaus. Mit einem Seufzer reckte er die schmerzenden Glieder.
Seine Gedanken wanderten zum eigentlichen Grund seiner Reise. Er hatte sich von Reinhard die Briefe geben lassen, die Marsilius von Palandt an ihn und Elisabeth geschickt hatte. Nicht, dass sie besonders informativ gewesen wären. Der Freiherr hatte von dem Verbrechen berichtet, das er leider nicht verhindern konnte, und von Marx’ Weigerung, ein Geständnis abzulegen. In einem späteren Brief dann von dessen Flucht, der Jagd auf ihn und schließlich von dem glücklichen Ausgang dieser Jagd. Hatte er in den Nachrichten etwas unterschlagen? Wusste er vielleicht von dem geheimnisvollen Brief? Hatte er ihn womöglich gefunden? Julius glaubte nicht daran. Da Marsilius mit Elisabeths Familie verwandt war, hätte er ihnen sicherlich alles berichtet, was ihm merkwürdig vorgekommen war.
Nein, Julius musste sich mit dem Pater unterhalten, den Marx entführt hatte und der wundersamerweise wohlbehalten in seine Pfarrei zurückgekehrt war. Marx war in der Nacht, in der Heinrich ermordet wurde, bei dem Jungen gewesen. Er hatte ihn umgebracht oder wusste, wer der Täter war. Und Ambrosius würde ihm möglicherweise den Weg zu dem Schweinehund weisen können.
Dem toten Schweinehund?
Julius lächelte grimmig. Die Vorstellung, Marx könnte sich in ein brennendes Haus gestürzt haben, um der Gefangennahme zu entgehen, war
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