Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
lächerlich. Dieser arrogante Mistkerl gab in keiner Situation auf. Er hätte sich mit seinem gottverdammten, hochnäsigen Lächeln den Verfolgern ergeben, wenn es unumgänglich gewesen wäre, und auf eine Gelegenheit zur Flucht gewartet. Sich umzubringen setzte Angst vor der Zukunft voraus. Aber Marx von Mengersen kannte keine Angst. Genau das war es ja, was ihn so ungenießbar machte und … so gefährlich. Julius war sicher, dass Marx seinen Tod inszeniert hatte, um ungestört seinen Geschäften nachgehen zu können. Worin auch immer die bestehen mochten. In der Unterstützung Wallensteins? Lag das nicht am nächsten?
O Herr im Himmel, wenn ich nur erst diese unappetitliche Angelegenheit mit der Freiherrin hinter mir habe, dachte Julius verdrossen.
s waren merkwürdige Tage. Vater saß auf Sophies Bettkante und versuchte sie ungeschickt zu trösten. Mutter strich mit feuchten Tüchern über ihr Gesicht. Christine brachte ihr das Kind. Zuerst, in der Zeit, als Sophie noch Fieber hatte, verwechselte sie es mit Jürgen und ließ es gleichgültig geschehen. Aber irgendwann wurde Sophie klar, dass es sich um ihre eigene Tochter handeln musste, und da spürte sie, wie sich Abneigung und Angst in ihr breitmachten. Sie hatte keinen normalen Menschen zur Welt gebracht. Ihr Kind war in der Nacht seiner Zeugung verflucht worden.
Wenn man es ihr in den Arm legte, hätte sie es am liebsten von sich gestoßen. Aber das traute sie sich nicht, denn Ursula war völlig vernarrt in die Enkeltochter, und Sophie schämte sich zu sehr, um von ihrer Hochzeitsnacht zu erzählen. Doch sooft man sie mit dem Kind allein ließ, legte sie es ans Fußende des Bettes und lehnte sich selbst mit angezogenen Beinen gegen das hölzerne Kopfende, obwohl das Sitzen scheußlich weh tat.
Ihre Tochter war bis zum Hals gewickelt und konnte sie daher nur ansehen. Doch das tat sie mit hellwachen Augen. Die Blicke waren bohrend und unangenehm. Als wollte sie meine urgeheimsten Gedanken ergründen, dachte Sophie und bekreuzigte sich ein ums andere Mal. Es wunderte sie nicht, dass das Kind ihr die Brustwarzen blutig gebissen hatte. Zum Glück kümmerte sich nun eine Amme um diesen Teil der Versorgung.
Mutter und Christine fanden das Mädchen niedlich, und das stimmte auch. Obwohl sie Marsilius’ hervorquellende Augen, seine vollen Lippen und sein braunes Haar, einschließlich der Geheimratsecken, geerbt hatte, war sie dennoch auf merkwürdige Weise hübsch. »Nein, solch ein süßes Engelchen. Wenn der Vater sie erst sieht, wird er hingerissen sein«, hatte Mutter gemeint und dabei konsequent die Tatsache ignoriert, dass Sophie vor ihrem Ehemann geflohen war. Marsilius würde seine kleine Familie abholen, und dann würde alles gut werden. Davon redete sie Tag und Nacht.
Das Kind blickte wieder zu Sophie. Es verzog das Gesicht, als wollte es weinen. Nur das nicht. Wenn es laut würde, käme Ursula ins Zimmer und mit ihr kämen wieder die Vorwürfe. Widerwillig kroch Sophie über die Bettdecken und nahm ihre Tochter auf den Arm.
Sie hieß Henriette. Mutter hatte den Namen ausgesucht, weil sie fand, dass jeder christliche Mensch einen Namen brauche, bei dem man ihn rief. Später könne der Vater ihn ja nach seinen Wünschen ändern, hatte sie gesagt.
Später …
Sophie konnte kaum atmen, wenn sie an das Später dachte. Natürlich hatte sie ihren Eltern von der Nacht im Hexenturm erzählt und was Edith ihr antun wollte und wie dieser Julius Drach sie gerettet hatte. Mutter war vor Entsetzen kreidebleich geworden. Sie hatte sich und Vater Wein eingeschenkt. Dann war sie durch das Zimmer gelaufen, hatte Dinge verrückt und unsichtbare Staubflusen fortgewischt, und schließlich hatte sie Sophies Schilderungen auf das Fieber zurückgeführt. Edith war ohne Zweifel ein furchtbares Weib, aber der Hexenaltar, die Flucht durch den Tunnel und dann noch der Werwolf … Ausgeschlossen! Sophie war, als die Geburt begann, in Panik aus der Burg gelaufen. Und alles andere kam vom Fieber!
Vater hatte während dieses Monologs stumm dagesessen. Ihm war nicht anzumerken, ob er seiner Tochter glaubte. Jedenfalls hatten ihre Eltern einen Boten zur Wildenburg geschickt. Und Marsilius hatte angekündigt, dass er sie heimholen würde. Über Edith und das Geschehen im Turm wurde nicht mehr gesprochen.
Henriette war wieder eingeschlafen, und Sophie ließ sie vorsichtig auf die Decke zurückgleiten. Sie kroch aus dem Bett und schritt zum Fenster, das zu einem
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